21.06.2011

„Es ist wie ein Wunder“

Seit etwa fünf Jahren suchen die Detektoren GEO600 in der Nähe von Hannover sowie die zwei amerikanischen LIGO-Observatorien und das italienisch-französische Instrument VIRGO nach Gravitationswellen. Bislang haben sie kein Signal empfangen. Physik in unserer Zeit sprach mit dem Leiter des GEO600-Projekts Karsten Danzmann über die bisherigen Erkenntnisse und die zukünftigen Erwartungen.

Bewegen sich große Massen, wie Sterne oder Galaxien, so erzeugen sie Gravitationswellen. Diese breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und dehnen und stauchen abwechselnd den Raum, den sie durchqueren: Die Abstände zwischen den im Raum enthaltenen Objekten ändern sich. Diese Distanzänderungen sind aber extrem klein. Bei einer Sternexplosion in einer Nachbargalaxie verändert die entstehende Gravitationswelle den Abstand zwischen Erde und Sonne nur um den Durchmesser eines Wasserstoffatoms – und das auch nur für wenige tausendstel Sekunden! Mit dem direkten Nachweis von Gravitationswellen ließe sich eine der letzten noch unbeobachteten Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie bestätigen. Außerdem beinhalten Gravitationswellen einzigartige Informationen über astrophysikalische Vorgänge.

 

  

Karsten Danzmann

 

Physik in unserer Zeit: Wie ist der aktuelle Stand bei den Detektoren?
Danzmann: Die erste Datenaufnahmeperiode ist abgeschlossen. Die beiden LIGO-Detektoren werden bereits umgebaut. Dort werden Techniken installiert, die wir zusammen mit dem Laserzentrum Hannover und unseren britischen Partner in den letzten Jahren in GEO600 entwickelt haben: Hochleistungslaser, Signalrecycling und eine neue Schwingungsisolation der Spiegel. Alles in allem hat das einen Wert von 30 Millionen Dollar. Dadurch und durch weitere Maßnahmen erhöht sich die Empfindlichkeit von LIGO um das Zehnfache. Offiziell soll LIGO 2014 als Advanced LIGO wieder mit dem Messbetrieb beginnen. Bei VIRGO gibt es zur Zeit noch letzte Verfeinerungen, aber im Sommer soll es zusammen mit GEO600 noch einmal für einige Monate laufen. Danach wird auch VIRGO bis 2014 mit ähnlichen Maßnahmen zu Advanced VIRGO aufgerüstet.

Also läuft zur Zeit nur GEO600?
Wir sind auch dort gerade dabei, die Anlage weiter zu verbessern, aber sie läuft im Moment zu etwa 70 Prozent der Zeit. Ab dem Sommer werden wir dann – abgesehen von dem gemeinsamen Run mit VIRGO – für ein paar Jahre allein nach Gravitationswellen lauschen. Da müssen wir natürlich zu hundert Prozent parat sein.

Welche Verbesserungen nehmen Sie an GEO600 vor?
Wir erhöhen die Laserleistung etwa um einen Faktor fünf, das Kontrollsystem wird verbessert, neue Optik eingebaut, und die Technik des gequetschten Lichts wird nach und nach installiert.

Was ist gequetschtes Licht?
Normales Laserlicht besitzt ein quantenmechanisches Schrotrauschen. Das heißt die Photonenemission ist unregelmäßig, wodurch sich die Empfindlichkeit verringert. Wir haben eine Technik entwickelt, die ein regelmäßiges Eintreffen der Photonen bewirkt. Man nennt das gequetschtes Licht, weil sich damit die Unsicherheit des Lichtfeldes zusammenquetschen lässt. Damit erhöht sich die Empfindlichkeit von GEO600 um einen Faktor zwei. Advanced LIGO wird aber noch kein gequetschtes Licht erhalten. Das wäre zu risikoreich.

Mit welcher Empfindlichkeitssteigerung rechnen Sie bis zum Sommer?
Insgesamt erreichen wir eine Verbesserung um das Fünffache, wodurch sich auch die Reichweite um denselben Faktor erhöht. Die Intensität von Gravitationswellen nimmt nur linear mit dem Abstand ab!

Welche Reichweite wird GEO600 dann haben?
Die Reichweite hängt natürlich von der Art der Quelle ab. Bei uns gilt als Bezugsmarke immer das Ereignis von zwei sich umkreisenden Neutronensternen, die sich einander annähern und schließlich verschmelzen. Dabei strahlen sie Gravitationswellen ab. Derzeit liegt die Reichweite von LIGO bei rund 50 Millionen Lichtjahren. Leider befinden sich in diesem Umkreis nur die verhältnismäßig wenigen Galaxien der sogenannten Lokalen Gruppe. Der Virgo-Galaxienhaufen beginnt in 65 Millionen Lichtjahren. Wenn wir den dazu bekämen, würde sich die Zahl der Galaxien um etwa 2000 erhöhen. Aber die Empfindlichkeitssteigerung bei GEO600 werden wir nur bei hohen Frequenzen erzielen, bei denen die verschmelzenden Neutronensterne keine Gravitationswellen emittieren.

Stattdessen können wir eventuell Supernovae oder Schwingungen von Neutronensternen oder Schwarzen Löchern nachweisen. Aber die Ereignisrate und vor allem die Intensität der von ihnen ausgesandten Wellen sind extrem unsicher. Bei Supernovae vom Typ II, bei denen ein massereicher Stern zusammenbricht und explodiert, kennen wir zwar die Ereignisrate mit zwei bis drei pro Jahrhundert und pro Galaxie recht genau. Aber die Vorhersagen über die Signalstärke haben in den letzten 15 Jahren um sieben Zehnerpotenzen variiert. Der Grund ist: Gravitationswellen werden nur abgestrahlt, wenn der Kollaps nicht vollkommen symmetrisch verläuft. Es muss sich das Quadrupolmoment ändern. Früher dachte man, dass das Äquivalent von einer Sonnenmasse in Form von Gravitationswellen abgestrahlt wird. Heute liegt der Wert eher bei 10-7 Sonnenmassen. Wenn das stimmt, können wir nur Supernovae innerhalb unserer Milchstraße nachweisen. Der Virgo-Haufen liegt also weit jenseits unserer Reichweite, was auch erklärt, warum wir noch kein Supernova-Ereignis gesehen haben.

Bei verschmelzenden Neutronensternen kennen wir hingegen die Signalstärke und die zu erwartende Signalform aus Computersimulationen sehr genau. Hier schwanken aber die Vorhersagen für die Ereignisrate um zwei bis drei Zehnerpotenzen.

Welche Reichweite wird Advanced LIGO ab 2014 haben?
Damit werden wir bis weit hinter den Virgo-Haufen hinaushorchen können. Die erwartete Ereignisrate für verschmelzende Neutronensterne reicht dann von einem pro Monat bis mehreren Dutzend pro Tag.

Das gesamte Interview, in dem es um die bisherigen astrophysikalischen Erkenntnisse und die Zukunft der Gravitationswellenastronomie geht, finden Sie in Physik in unserer Zeit 2011, 42 (3), 116.

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