Exotischer Teilchenzustand gibt Rätsel auf
COMPASS-Kollaboration am CERN entdeckt neues Meson aus leichten Quarks
Eine exotische Kombination von leichten Quarks haben Wissenschaftler der COMPASS-Kollaboration am CERN beobachtet. Die Entdeckung gelang bei einem Experiment, bei dem Pionen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit auf ein flüssiges Wasserstoff-Target geschossen wurden. Nun sind die theoretischen Physiker am Zug, eine Erklärung für den neuen Teilchenzustand zu finden: Zwar haben sie schon eine Reihe von Erklärungen vorgeschlagen, diese konnten jedoch bisher nicht alle Eigenschaften des Exoten korrekt beschreiben.
Abb.: Der Aufbau des Experiments COMPASS am Super Proton Synchrotron am CERN. (Bild: CERN)
Quarks sind dem Standardmodell der Teilchenphysik zufolge die fundamentalen Bausteine, aus denen Atomkerne aufgebaut sind: Ein Proton besteht aus einem Up- und zwei Down-Quarks, ein Neutron aus einem Down und zwei Up-Quarks. Damit ist der Teilchenzoo der Quarks jedoch noch nicht komplett: Neben den beiden leichtesten Quarks gibt es noch vier weitere: das Strange-, Charm-, Bottom- und das Top-Quark sowie ihre jeweiligen Antiteilchen, die Antiquarks. Alle diese Quarks waren kurz nach dem Urknall vorhanden und spielten eine wichtige Rolle bei der Entstehung unseres Universums. Die vier schweren Quarks sind in den Naturvorgängen in unserer Umgebung nicht mehr zu beobachten. Um sie nachzuweisen, werden große Teilchenbeschleuniger benötigt. Zusammengehalten werden die Quarks durch „Klebeteilchen“, Gluonen, die auch die starke Wechselwirkung, die stärkste der vier Fundamentalkräfte der Physik, vermitteln.
Die in den 1980er Jahren entwickelte Quantenchromodynamik, kurz QCD, beschreibt die starke Wechselwirkung. Mit Hilfedieser Theorie versuchen die Physiker zu beschreiben, nach welchen Prinzipien sich Materie formt und welche Konfigurationen von Teilchen die Natur zulässt. Die QCD sagt dabei eine ganze Reihe von Quark-Kombinationen voraus. Einige davon sind bekannt: Eine Kombination von drei Quarks bildet Baryonen, wie sie etwa in den Protonen und Neutronen vorkommen. Aus der Kombination von einem Quark und einem Antiquark ergeben sich Mesonen, wie sie etwa die Pionen. Aber auch einige exotische Kombinationen, wie zum Beispiel molekülähnliche Vierfach-Quarks oder sogar Fünffach-Quarks, sind der QCD zufolge möglich. Kürzlich wurden am LHC tatsächlich Hinweise auf ein solches Fünffach-Quark gefunden.
Die Kombinationsregeln von Quarks zu verstehen, ist eine große Herausforderung für die theoretische wie auch die experimentelle Teilchenphysik. Dabei erschwert ein äußerst ungewöhnliches Phänomen das Verständnis der Quark-Kombination: Die Kräfte zwischen den Quarks werden immer größer, je weiter man diese voneinander entfernt. Die starke Wechselwirkung wächst also, anders als die anderen drei Grundkräfte, mit zunehmendem Abstand der Teilchen. Die zugehörigen QCD-Gleichungen stellen eine der großen Herausforderungen in der theoretischen Physik dar. Eine Annäherung an die Lösung wird vor allem mit Computersimulationen erreicht, die sehr viel Rechenzeit beanspruchen, aber mögliche Teilchenkombinationen deutlich einschränken.
Das jetzt im Rahmen der COMPASS-Kollaboration entdeckte Meson setzt sich aus leichten Quarks zusammen und besitzt eine Masse von 1,42 GeV. Da in dieser Massenregion seit einem halben Jahrhundert geforscht wird, ist die Entdeckung des neuen Teilchens mit Hilfe des COMPASS-Spektrometers am Super Proton Synchrotron am CERN eine große Überraschung. Das a1(1420) genannte Teilchen wurde bei Datenanalysen von Experimenten gefunden, bei denen Pionen mit einem Impuls von 190 GeV/c auf ein Flüssig-Wasserstoff-Target geschossen wurden. Weil dieser neue Zustand rund tausend Mal seltener vorkommt als die bekannten Mesonen, war zur Identifizierung eine neue, komplexe Analysemethode nötig, für die Wissenschaftler des Exzellenzclusters Universe der TU München zuständig waren.
Für das neue Teilchen wurden verschiedene theoretische Erklärungen vorgeschlagen. Diese interpretieren a1(1420) als ein Molekül, aufgebaut aus bekannten Mesonen, oder als einen Vier-Quark-Zustand. Andere Erklärungen machen verschiedenartige langreichweitige Effekte der starken Wechselwirkung für die Beobachtung verantwortlich. Diese Erklärungen decken jedoch die experimentellen Befunde nicht vollständig ab. „Obwohl es experimentell gut belegt ist, ist das neue Teilchen a1(1420) offenbar ein neues Mitglied im Club der bisher unerklärten Zustände“, sagt Stephan Paul vom Exzellenzcluster Universe. Die Experten der Quantenchromodynamik haben also mit dem neuen Teilchenzustand eine weitere schwere Aufgabe zu lösen.
TUM / RK