Exotisches Quarkquartett gesichtet
Tetraquarks verschaffen dem Teilchenzoo viel kurzlebigen Zuwachs.
Vier Quarks können ein Teilchen namens Zc(3900) bilden, wenn auch nur für unvorstellbar kurze Zeit. Das ist das Ergebnis von unabhängigen Experimenten der BES-III-Collaboration am Beijing Electron Positron Collider in China und der Belle-Collaboration an der High Energy Accelerator Research Organization KEK in Japan. Damit haben sich frühere Hinweise auf Tetraquarks bestätigt, wie sie unter anderem von Belle kamen.
Abb.: Exotische charmoniumartige Mesonen, die neben einem Charm-Anticharm-Paar noch zwei weitere Quarks oder ein permanentes Gluon enthalten. Die vier Quarks schließen sich entweder paarweise zu Mesonen zusammen und bilden ein „Molekül“, oder sie schließen sich zu Diquarks und Diantiquarks zusammen und bilden ein Tetraquark. (Bild: S. Godfrey & S. Olsen, Ann. Rev)
Während BES-III insgesamt 307 der ungewöhnlichen Teilchen registriert hat, konnte Belle 159 nachweisen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Nachweis nur vermeintlich ist und vom Zufall vorgespiegelt wurde, beziffert man bei Belle auf 1 zu 3,5 Millionen. Die Wissenschaftler sind sich deshalb ziemlich sicher, das Zc(3900)-Meson tatsächlich gefunden zu haben.
Mit einer Energie von 3900 MeV ist das Zc(3900) gut viermal so schwer wie das Proton. Während das Proton aus drei Quarks besteht (zwei Up und ein Down), enthält das neue, elektrisch geladene Teilchen vier Quarks: ein Charm und ein Anticharm sowie ein Up und ein Antidown (oder ein Antiup und ein Down). Es reiht sich damit ein in die Gruppe der exotischen charmoniumartigen XYZ-Mesonen, die neben einem Charm-Anticharm-Paar noch zwei weitere Quarks oder zumindest ein permanentes Gluon enthalten.
Normalerweise sind die Gluonen flüchtiger Natur und werden zwischen den Quarks ausgetauscht, wodurch diese stark wechselwirken. Doch Gluonen können auch als reale Teilchen auftreten und sowohl miteinander als auch mit den Quarks stark wechselwirken. So könnten beispielsweise mehrere Gluonen einen „Glueball“ bilden, der jedoch noch hypothetisch ist. Realer ist die Möglichkeit, dass sich ein Gluon mit einem Charm-Anticharm-Paar zusammenschließt. Das könnte hinter dem Y(4260)-Meson stecken, das die BaBar-Collaboration 2005 am Stanford Linear Accelerator Center entdeckt hat.
Die BES-III- und Belle-Teams haben solche Y(4260)-Mesonen hergestellt und ihren Zerfall genauer untersucht. Dazu haben sie Elektronen und Positronen beschleunigt und mit hoher Energie frontal kollidieren lassen. Das dabei entstehende Y(4260) zerfiel nach 10-23 s bevorzugt in ein positives und ein negatives Pion sowie ein J/ψ-Teilchen. Solche Zerfälle hatte man schon früher beobachtet. Doch jetzt konnten BES-III und Belle feststellen, dass einige der Zerfälle über einen Zwischenschritt stattfanden.
Wie die Analyse der Zerfallsprodukte ergab, entstanden aus dem Y(4260) zunächst ein erstes (positives oder negatives) Pion und ein neuartiges Meson, das eine Energie von 3900 MeV hatte. Dieses Zc(3900)-Meson zerfiel anschließend in ein zweites (negatives bzw. positives) Pion und ein neutrales J/ψ, das aus einem Charm-Anticharm-Paar bestand. Demnach enthielt das Zc(3900) neben dem Charm und dem Anticharm noch zwei weitere Quarks (Anti-Up und Down bzw. Up und Anti-Down), aus denen das zweite Pion entstehen konnte.
Doch wie eng waren die vier Quarks aneinander gebunden? Bildeten sie tatsächlich ein Tetraquark aus zwei Quarks und zwei Antiquarks, in dem sich die beiden Quarks zu einem Diquark und die beiden Antiquarks zu einem Diantiquark zusammenschlossen? Oder hatten sich das Charm mit dem Antiup und das Anticharm mit dem Down zu einem D0-Meson bzw. einem D–-Meson zusammengeschlossen, wobei diese beiden D-Mesonen nur locker zu einem exotischen „Molekül“ verbunden waren?
Einigen Modellen zufolge ziehen sich zwei D-Mesonen so stark an, dass sie tatsächlich ein Mesonenmolekül bilden können, dessen Zerfall im Einklang mit dem beobachteten Zerfall des Zc(3900) steht. Dagegen wenden die Tetraquark-Befürworter ein, das Mesonenmolekül sollte bevorzugt in zwei D-Mesonen zerbrechen und nicht in ein Pion und ein J/ψ, wie man es beobachtet hatte. Doch die Fehlergrenzen der Beobachtungen von BES-III und Belle sind noch zu groß, als dass man den Zerfall eines Mesonenmoleküls ausschließen könnte. Weitere Messungen der Zc(3900)-Zerfälle sowie Experimente, die die Wechselwirkung zwischen D-Mesonen untersuchen, sollen hier Klarheit schaffen.
Die Resultate von BES-III und Belle sind ein Ansporn für die Theoretiker, im Rahmen der Quantenchromodynamik zu zeigen, wie sich vier Quarks tatsächlich zu einem Tetraquark zusammenschließen können. Sollte sich die Existenz der Tetraquarks bestätigen, würde der Teilchenzoo erheblichen Zuwachs erhalten.
Rainer Scharf
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