06.12.2022

Exotisches Wechselspiel der Elektronen

Neuer Quantenzustand könnte für hochempfindliche Quantensensoren geeignet sein.

In Quanten­materialien wechselwirken Elektronen ungewöhnlich stark miteinander sowie mit den Atomen des Kristallgitters. Als Konsequenz dieses innigen Miteinanders zeigen sich starke Quanten­effekte, die nicht nur im mikroskopischen, sondern auch im makro­skopischen Maßstab wirken. Infolgedessen bieten Quanten­materialien bemerkens­werte Eigenschaften. Beispielsweise können sie Strom bei tiefen Temperaturen völlig verlustfrei leiten. Oft reichen dabei schon kleine Änderungen von Temperatur, Druck oder elektrischen Spannungen, um das Verhalten des Materials drastisch zu ändern. Im Grunde lassen sich auch Magneten als Quanten­materialien ansehen: Letztlich beruht der Magnetismus auf dem Spin. „In gewisser Hinsicht können sich diese Spins wie eine Flüssigkeit benehmen“, erklärt Jochen Wosnitza vom Hochfeld-Magnet­labor Dresden HLD am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. „Bei sinkenden Temperaturen können diese ungeordneten Spins dann gefrieren, ähnlich wie Wasser zu Eis gefriert.“ 

Abb.: Mit einem Kryostaten lassen sich Temperaturen bis hinab zu zwanzig...
Abb.: Mit einem Kryostaten lassen sich Temperaturen bis hinab zu zwanzig Millikelvin erreichen. (Bild: J. Jeibmann, HZDR)

Das internationale Team wollte einen Quanten­zustand erzeugen, bei dem die Atom­ausrichtung, die mit den Spins gekoppelt ist, selbst bei ultra­kalten Temperaturen nicht ordnet – ähnlich wie eine Flüssigkeit, die sich selbst bei Extremkälte nicht ver­festigen mag. Um diesen Zustand zu erreichen, setzte die Arbeitsgruppe auf ein besonderes Material – eine Verbindung aus den Elementen Praseodym, Zirkonium und Sauerstoff. Die Vermutung: In diesem Material sollte das Kristallgitter so beschaffen sein, dass die Elektrone­nspins auf besondere Weise mit ihren Orbitalen wechselwirken können. „Die Voraus­setzung war allerdings, dass die Kristalle eine extreme Reinheit und Güte besitzen“, sagt Satoru Nakatsuji von der Universität Tokio.

Dafür brauchte es diverse Anläufe, doch schließlich konnte das Team ausreichend reine Kristalle herstellen, um sie für sein Experiment zu nutzen: In einem Kryostaten kühlten die Fachleute ihre Probe nach und nach bis auf zwanzig Millikelvin ab. Um zu sehen, wie die Probe auf diese Abkühlung und im Magnetfeld reagiert, maßen sie zum einen, wie sich ihre Länge änderte. Zum anderen erfasste die Gruppe, wie der Kristall auf Ultraschall­wellen reagierte, die sie gezielt durch ihn hindurch­schickten. Das Resultat: „Wären die Spins geordnet, hätte dies eine sprunghafte Änderung im Verhalten des Kristalls bewirken müssen, etwa eine plötzliche Längen­änderung“, beschreibt Sergei Zherlitsyn, Experte für Ultraschall-Experimente am HLD. „Doch wir haben gesehen: Da passiert nichts! Weder bei der Länge noch bei der Reaktion auf die Ultraschall­wellen konnten wir irgendwelche plötzlichen Änderungen beobachten.“

Die Schlussfolgerung: Das ausgeprägte Wechselspiel von Spins und Orbitalen hat ein Ordnen verhindert, weshalb die Atome in ihrem flüssigen Quanten­zustand geblieben sind – ein erstmals beobachteter Quanten­zustand. Weitere Untersuchungen im Magnetfeld haben diese Vermutung bestätigt. Das Grundlagen­ergebnis könnte eines Tages auch praktische Auswirkungen haben: „Womöglich lässt sich der neue Quantenzustand irgendwann nutzen, um hoch­empfindliche Quanten­sensoren zu entwickeln“, spekuliert Jochen Wosnitza. „Dazu müssten wir allerdings noch herausfinden, wie sich gezielt Anregungen in diesem Zustand erzeugen lassen.“ Die Quanten­sensorik gilt als vielver­sprechende Zukunfts­technologie. Da sie wegen ihrer Quantennatur überaus empfindlich auf äußere Reize reagieren, können Quanten­sensoren zum Beispiel Magnet­felder oder Temperaturen ungleich genauer registrieren als konventionelle Messfühler.

HZDR / JOL

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