26.01.2023

Extrem fest und gut verformbar

Neue Designstrategie für Mittel-Mangan-Stähle für eine hohe Zugfestigkeit.

Fahrzeuge, Gebäude, Infrastrukturen - alles unvorstellbar ohne Stähle. Allerdings muss der eingesetzte Stahl je nach Anwendung ganz unter­schiedliche Eigenschaften erfüllen. Deshalb sind etwa 2500 Stahlsorten auf dem Markt und es werden stetig neue entwickelt oder vorhandene Stahlsorten optimiert. Material­wissenschaft­lerinnen und -wissenschaftler beschäftigen sich gegenwärtig vor allem mit drei Eigenschaften: Nachhaltig­keit, Festigkeit und Verformbarkeit. Gleichzeitig müssen sie die Kosten der Herstellung und die industrielle Anwendbarkeit der entwickelten Stähle berück­sichtigen und von kritischen Legierungselementen Abstand nehmen, also Legierungen entwickeln, die mit preiswerten und nachhaltigeren Elementen auskommen. Ein Forschungsteam, hauptsächlich von der chinesischen Northeastern University und Metall­physikern am Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE), hat nun eine neue Design­strategie für Mittel-Mangan-Stähle entwickelt, die diese Eigenschaften optimiert. 

Abb.: Zugfestigkeit der beiden Stähle mit strukturiertem Martensit (obere...
Abb.: Zugfestigkeit der beiden Stähle mit strukturiertem Martensit (obere Punktgruppe) im Vergleich zu anderen ultrahoch­festen Stählen. (Bild: MPIE / Science)

„Ultrahochfeste Stähle werden zum Beispiel bei sicherheits­relevanten Bauteilen in Kraftwerken, Flugzeugen, Industrieanlagen oder auch in der Autokarosserie verwendet. Dort müssen die Stähle fest sein, aber gleichzeitig auch eine hohe Energie im Falle einer Verformung aufnehmen können. Je mehr Energie aufgenommen wird, desto mehr wird der Aufprall abgeschwächt und die Insassen bleiben geschützt“, erklärt Dierk Raabe, Direktor am MPIE. Festigkeit und Duktilität, die die Energieaufnahme­kapazität beeinflusst, lassen sich allerdings nur bedingt vereinen. Martensit­aushärtende Stähle erreichen eine Festigkeit von zwei Gigapascal (GPa). Sie sind jedoch relativ spröde und verwenden teure und nur begrenzt verfügbare, wenig nachhaltige Legierungselemente wie Kobalt, Nickel, Molybdän oder Titan.

Im Vergleich zu martensit­aushärtenden Stählen erreichen verformte und partitionierte Stähle, die DP-Stähle, eine ähnliche Festigkeit, können aber um mehr als fünfzehn Prozent gedehnt werden. Allerdings ist ihre Verarbeitung kompliziert und damit kostspielig, und ihre Verformung ist unregelmäßig. Alle verwendeten ultrahochfesten Stähle haben eine Gemeinsamkeit: ihr Martensit­gefüge folgt keinen topo­logischen Gestaltungs- oder Formkriterien. Das Gefüge erhöht zwar die Festigkeit, verringert aber aufgrund der fehlenden Struktur die Duktilität des Materials. „Unsere Design­strategie beschäftigt sich mit genau dieser Schwachstelle: der Struktur des Martensits. Durch mehrmaliges Schmieden, einer Behandlung unter kryogenen Bedingungen und Vergütung konnten wir zahlreiche Mikro­mechanismen aktivieren, die das Material stärken und duktiler machen. Unser neuer Stahl erreicht eine Zug­festigkeit von 2,2 GPa und lässt sich dennoch um zwanzig Prozent dehnen“, erklärt Raabe.

Durch dieses Vorgehen wird der größte Teil des Austenits in Martensit umgewandelt und der Martensit ist lamellenartig angeordnet und zweifach topologisch ausgerichtet. „Das lamellenartige Gefüge erinnert an einen typischen Damaszener­stahl, der durch Faltung und Kombination verschiedener Eisenlegierungen an Festigkeit gewinnt. Hier beschränken wir uns auf eine Legierung, aber nutzen eine ähnliche hierarchische Gefügeordnung“, sagt Raabe. Die Wissenschaftler setzten Transmissions- und Raster­elektronen­mikroskopie sowie Atomsonden­tomographie ein, um das Material bis auf die atomare Ebene zu charak­terisieren und den Einfluss der einzelnen Verarbeitungs­schritte zu erkennen. Das Schmieden führt beispielsweise zu einer höheren Versetzungs­dichte und zu stärker verteilten Nano­ausscheidungen, was zu einer höheren Dehnbarkeit führt. Die hohe Duktilität ist eine Folge der Versetzungen im Martensit und der allmählichen, durch Verformung angeregten Phasen­umwandlung.

Die entwickelte Design­strategie ist mit den bestehenden industriellen Verfahren kompatibel und lässt sich daher einfach und effizient hochskalieren. Das Forschungsteam wird die Legierungs­zusammensetzung und die Verarbeitungsroute jetzt für andere martensi­tische Legierungs­klassen anpassen, um auch für diese hohe Festigkeit und Duktilität zu kombinieren.

MPIE / JOL

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