Extrem seltener Zerfall
Bestätigung des selten vorkommenden kompetitiven Doppeltgammazerfalls.
Im Oktober 2015 veröffentlichte ein Team der Technischen Universität Darmstadt im Magazin „Nature“ die Entdeckung einer neuen Variante von Radioaktivität. Es handelt sich um eine sehr selten auftretende Spielart der Gammastrahlung, bei der ein radioaktiver Quantenzustand eines Atomkerns gleichzeitig zwei Gamma-Quanten –hochenergetische Lichtteilchen mit Wellenlängen unterhalb des Röntgenbereichs – aussendet und so über einen Quantensprung in einen energetisch niedrigeren Zustand übergeht, obwohl dieser Quantensprung auch durch die Aussendung nur eines einzigen Gamma-Quants möglich gewesen wäre. Dieser „kompetitiver Doppelt-Gammazerfall“ wird mit dem Symbol „γγ/γ“ bezeichnet. Die Darmstädter Kernphysiker beobachteten im Nuklid Ba-137, dass dieser Prozess dort nur mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa zwei zu einer Million auftritt.
Nun bestätigt eine internationale Forschungsgruppe aus Rumänien, Japan, Italien und Deutschland die Existenz des γγ/γ Zerfalls. Die kernphysikalischen Messungen wurden an der Europäischen Extreme Light Infrastructure – Nuclear Physics (ELI-NP) am rumänischen National-Laboratorium IFIN-Horia Hulubei bei Bukarest mit einer über zwei Jahre eigens hierfür aufgebauten und betriebenen Messapparatur durchgeführt. Das Experiment wurde von dem an der europäischen Anlage beschäftigten schwedischen Wissenschaftler Pär-Anders Söderström geleitet, der sich zuvor im Institut für Kernphysik der TU Darmstadt als Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von dem an der Entdeckung beteiligten Norbert Pietralla wissenschaftlich weitergebildet hatte. Die neuen Messdaten bestätigen die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Variante der Radioaktivität auftritt, und bestimmen diese nun noch genauer.
Die genaueren Messdaten liefern neue Erkenntnisse über die Eigenschaften und die wissenschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten der neuen Art von Radioaktivität. Durch eine im Vergleich zu den Darmstädter Daten präziseren Vermessung der Energieverteilung auf die beiden Gamma-Quanten im Doppelt-Gammazerfall konnten neue Schlussfolgerungen über deren elektromagnetischen Strahlungscharakter gezogen werden. Die neuen Daten zeigen, dass es sich beim γγ/γ Zerfall im Nuklid Ba-137 um eine Kombination von elektrischer Oktupol- und magnetischer Dipolstrahlung aus dem Atomkern handelt. Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu einfachen Kernstrukturmodellen, mit denen die Darmstädter Entdeckungen zunächst verglichen worden waren und die eine Kombination von elektrischer und magnetischer Quadrupolstrahlung als Hauptursache des γγ/γ Zerfall im Nuklid Ba-137 verantwortlich machten.
Eine in der Nukleartheorie weltweit führende Wissenschaftlergruppe aus Japan konnte nun die Dominanz von elektrischer Oktupol- und magnetischer Dipolstrahlung am γγ/γ Zerfall im Nuklid Ba-137 durch aufwändige Berechnungen auf dem japanischen Supercomputer K am Tokioter Forschungszentrum Riken auch nukleartheoretisch erklären. Die Computer-Modelle zeigen, dass die γγ/γ-Zerfallsprozesse sehr sensitiv auf die Interaktion von Protonen und Neutronen in einem Atomkern sind und sich daher als Präzisionstests für unser wissenschaftliches Verständnis der Struktur von Atomkernen und der Kernkräfte besonders eignen.
TU Darmstadt / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
P.-A. Söderström et al.: Electromagnetic character of the competitive γγ/γ-decay from 137mBa, Nat. Commun. 11, 3242 (2020); DOI: 10.1038/s41467-020-16787-4 - C. Walz et al.: Observation of the competitive double-gamma nuclear decay, Nature 526, 406 (2015); DOI: 10.1038/nature15543
- Extreme Light Infrastructure – Nuclear Physics (ELI-NP), Magurele, Rumänien
- Institut für Kernphysik (N. Pietralla), Technische Universität Darmstadt