Fachkräftemangel: Ja oder nein?
Verglichen mit den Problemen, die der deutschen Wirtschaft Mitte des nächsten Jahrzehnts bei der Versorgung mit Facharbeitskräfte drohen, sind die aktuellen Sorgen unbedeutend.
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Nürnberg (dpa) - Die Signale sind widersprüchlich, dennoch macht die verwirrende Debatte um den angeblichen Fachkräftemangel eines deutlich: Mit dem aktuellen Arbeitsmarktboom sind Personalchefs zumindest in einigen Branchen zum Umdenken gezwungen. Noch vor wenigen Jahren von Bewerbungen überhäuft, aus denen sie die Spitzenkräfte auswählen konnten, bekommen sie inzwischen schon mal vom Nachwuchs die kalte Schulter gezeigt. Zumindest in einigen Ingenieurberufen, etwa im Maschinenbau oder in der Elektrotechnik, sind oftmals die Bewerber am Drücker. So manches expansionswillige Unternehmen erhält dabei einen Korb.
Schon warnen Wirtschaftsverbände, wie etwa der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM), vor einer Strangulierung des Wirtschaftsaufschwungs, wenn es nicht gelänge, den Fachkräftebedarf zu decken. BITKOM wie auch andere Verbände denken dabei an eine Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Zuwanderer. Vor allem die Aussicht auf preiswerte Fachkräfte aus Osteuropa übe da auf manchen expandierenden Betrieb eine große Faszination aus, sind etwa Experten des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) überzeugt.
Die IAB-Wissenschaftlerin Franziska Schreyer sieht dagegen genauso wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) bei der Fachkräfteversorgung in Deutschland das Ende der Fahnenstange noch keineswegs erreicht. In den BA-Statistiken sind aktuell rund 30 000 arbeitslose Ingenieure erfasst. Sie hätten - gemessen an den bisher gängigen Einstellungskriterien vieler Unternehmen - allerdings zwei Mankos: Die einen seien älter als 50 und damit nach dem Geschmack von Personalchefs nicht mehr ausreichend dynamisch, die anderen weiblich. Ingenieurinnen sind nach den BA-Zahlen im Schnitt doppelt so oft arbeitslos wie ihre männlichen Mitbewerber.
«Man kann», so die kritische Einschätzung der Soziologin und Arbeitsmarktforscherin, «die Einstellungskriterien so eng fassen, dass man sich seinen eigenen Fachkräftemangel schafft». Sie ist freilich überzeugt, dass sich mit wachsendem Druck viele Unternehmen wieder stärker auf ältere arbeitslose Ingenieure besinnen werden.
IAB-Chef Ulrich Walwei fordert von den Unternehmen zugleich ein stärkeres Marktbewusstsein ihrer Personalpolitik. Für ein knappes Gut wie hoch qualifizierte Ingenieure müssten Unternehmen eben auch bereit sein, mehr zu bezahlen. Dabei skizziert er in der nächsten Zeit folgende Entwicklung: «Manche Unternehmen werden mehr oder weniger gezwungen sein, gute Mitarbeiter von der Konkurrenz abzuwerben. Das gelingt aber nur, wenn sie ihnen ein besseres Angebot machen». Das werde über kurz oder lang zu höheren Gehältern für stark nachgefragte Kräfte führen.
Verglichen mit den Problemen, die der deutschen Wirtschaft Mitte des nächsten Jahrzehnts bei der Versorgung mit Facharbeitskräfte drohen, seien die aktuellen Sorgen ohnedies unbedeutend. Etwa im Jahr 2015 werden nach Prognosen der Nürnberger Arbeitsmarktforscher zwei gegenläufige Entwicklungen zusammentreffen: Die dann in Rente gehenden und aus geburtenstarken Jahrgängen stammenden Fachleute in Konstruktionsbüros und Forschungslabors lassen sich nur zu einem Teil aus den nachfolgenden Jahrgängen ersetzen. Schlimmer noch: Nach Erkenntnissen von Bildungsforschern bringen diese im Durchschnitt auch eine schlechtere Ausbildung mit als die Generation der Bildungsexpansion der 70er Jahre.
Klaus Tscharnke, dpa