04.03.2015

Fahrplan für das Flaggschiff

Das Graphene-Flagship hat Ende Februar eine Roadmap veröffentlicht, die den Stand der Forschung zusammenfasst und die wichtigsten Themenfelder identifiziert.

Graphen gilt als Wundermaterial des 21. Jahrhunderts. Es ist extrem dünn und dennoch 100- bis 300-Mal reißfester als Stahl, es leitet elektrischen Strom und Wärme besser als jedes Metall, ist biokompatibel und transparent. Im Alltag ist Graphen bereits angekommen – als Teil eines Kompositmaterials, aus dem Tennisschläger hergestellt werden. Seit nunmehr zwei Jahren spielt die derzeitige Nummer 1 der Weltrangliste, Novak Djokovic, mit einem besonders stabilen und gut ausbalancierten Tennisschläger basierend auf Graphen-Technologie. Grund genug, dieses Wundermaterial genau zu erforschen und viele weitere Anwendungen zu erschließen. Diesen Aufgaben widmet sich seit anderthalb Jahren das Graphene Flagship – eine Initiative im Rahmen des EU-Programms „Future and Emerging Technologies“ mit einer Fördersumme von bis zu einer Milliarde Euro über zehn Jahre. Als Bestandsaufnahme und Ausblick haben die Partner des Flagships kürzlich eine Roadmap veröffentlicht, in der sie für verschiedene Anwendungsfelder die wichtigsten Herausforderungen und notwendigen Arbeitsschritte nennen.

Die Roadmap identifiziert drei Schwerpunkte für die künftige Arbeit: Erstens geht es darum, neue Schichtmaterialien über Graphen hinaus zu identifizieren und ihr Potenzial zu erkunden. Zweitens wollen die Forscher neuartige Gerätekonzepte basierend auf zweidimensionalen Materialien entwickeln. Und drittens sollen Komponenten und Strukturen aus zweidimensionalen Materialien in bestehende Systeme integriert werden, um neue Funktionalitäten und Anwendungen zu ermöglichen. Die Roadmap ist untergliedert in elf verschiedene Bereiche, zu denen beispielsweise elektronische Bauteile, Spintronik, Photonik und Optoelektronik, flexible Elektronik, Kompositmaterialien oder auch biomedizinische Anwendungen zählen.

Wie ein zerknittertes Seidentuch sieht eine einzelne Graphenschicht unter dem Elektronenmikroskop aus. (Bild: K. Novoselov)

Der Bereich Biomedizin ist neu hinzugekommen. „Bisherige Elektronik basierend auf Silizium oder GaAs ist nicht besonders biokompatibel. Graphen besteht allerdings aus Kohlenstoff und lässt sich für die Sensorik in der Biomedizin daher deutlich besser einsetzen“, erläutert Daniel Neumaier von der AMO GmbH in Aachen. Er selbst leitet den Bereich Hochfrequenztechnik, in dem es seit Beginn des Programms vor allem darum geht, die Prozesstechnologie zu entwickeln, um Graphen in Systeme einbinden bzw. Bauteile aus Graphen fertigen zu können. „Unser Ziel wäre es, die Bauteile reproduzierbar wie beim Brezelbacken herzustellen“, sagt Neumaier.

Eine Herausforderung besteht allerdings darin, die Prozesstechnologie so zu skalieren, dass sie für die großtechnische Fertigung infrage kommt. Auch die Integration von Graphenbauteilen in die Silizium-Technologie ist bislang noch nicht geklärt. Angelegt ist das Flagship-Programm, an dem derzeit 142 Partner aus 23 Ländern beteiligt sind, auf zehn Jahre, doch Daniel Neumaier rechnet damit, dass es in einigen Bereichen auch länger dauern wird, bis Graphen in der Anwendung tatsächlich angekommen ist. „Wenn man sich die Vergangenheit anschaut, hat das in der Mikroelektronik eher 15 bis 20 Jahre gedauert. Selbst bei Kupfer waren es mehr als zehn Jahre von der Vorfeldforschung bis zur Anwendung, und Kupfer ist kein besonderes Material“, führt Neumaier aus.

In anderen Bereichen, vor allem bei Kompositmaterialien, ist die Forschung deutlich weiter fortgeschritten. Dort gilt es nun, die Toxizität und die Wirkung von Graphen auf die Umwelt zu untersuchen. Vor Ablauf der Förderdauer des Projekts sollen auch in anderen Bereichen erste Anwendungen zur Verfügung stehen, beispielsweise in der flexiblen Elektronik, Sensorik oder Hochgeschwindigkeitselektronik, wo Graphen völlig neue Funktionalitäten verspricht. Laut der Roadmap ist es nicht Frage, ob Graphen neue Anwendungen ermöglicht, sondern wie viele.

Fraglich ist allerdings noch die genaue Finanzierung: Etwa die Hälfte der Fördersumme von einer Milliarde Euro wollte die EU stellen, den Rest sollten die beteiligten Länder und Partner beisteuern. Für den Zeitraum von 2016 bis 2018 erhält das Flagship insgesamt 89 Millionen Euro, in der Periode danach rechnen die Forscher mit einem reduzierten Etat – geschuldet den Kürzungsplänen des EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker. Doch darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen...

Maike Pfalz

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