Flüssiger Magnet
Festgeklemmte Nanoteilchen auf kleinen Tröpfchen machen flüssigen Ferromagneten möglich.
Ferromagnetische Materialien haben eine wichtige Eigenschaft gemeinsam: Sie sind Festkörper. Bislang haben Ferrofluide zwar schon Magnetisierbarkeit zeigen können. Doch beim Abschalten des Magnetfeldes verloren solche Flüssigkeiten ihre magnetischen Eigenschaften wieder. Diese Gewissheit hat ein internationales Wissenschaftlerteam nun untergraben. Forscher um Tom Russell vom Berkeley Lab haben flüssige Nanotröpfchen erzeugt, die auch bei Abwesenheit eines externen Magnetfeldes ferromagnetische Eigenschaften aufwiesen. Diese Tröpfchen lassen sich zudem in unterschiedliche Formen bringen, was für verschiedene Anwendungen wichtig sein kann.
Die Besonderheit von Ferromagneten, ein externes Magnetfeld dauerhaft aufzunehmen, liegt an der starken Spin-Spin-Wechselwirkung in diesen Materialien. In einem Festkörper liegen die Atome eng aneinander, was eine starke Spin-Spin-Wechselwirkung begünstigt. Bisherige Versuche, unter anderem mit Eisenoxid-haltigen Nanoteilchen magnetische Flüssigkeiten zu erzeugen, haben zwar zu sogenannten Ferrofluiden geführt. Aufgrund der hohen Beweglichkeit und thermischen Störungen in einer Flüssigkeit haben sich solche Ferrofluide aber nur paramagnetische Eigenschaften und verlieren ihre Magnetisierung wieder, wenn das externe Magnetfeld abgeschaltet wird.
Die Wissenschaftler um Russell arbeiteten mit Eisenoxid-Nanopartikeln von zwanzig Nanometern Durchmesser, die sie mit Carbonsäuregruppen in Wasser funktionalisierten. Dann gaben sie diese Tropfen in ein Öl, in dem ein Polymer-Ligand mit komplementärer Funktionalisierung gelöst war. Die Nanoteilchen und die Liganden gingen auf diese Weise eine Verbindung ein, bei der sich zahlreiche Liganden an die Partikel hefteten. Dabei erhöhte sich die Bindungsenergie an der Oberfläche so stark, dass die Nanoteilchen sich an der Außenhaut der Tröpfchen aneinander hefteten. „Auf diese Weise entstand im Wesentlichen eine glasartige Monoschicht an der Grenzfläche“, sagt Russell. Wenn die Forscher die Tröpfchen nun einem Magnetfeld aussetzten, behielten diese es dauerhaft bei – ein überraschend ferromagnetisches Verhalten, das bei Raumtemperatur stattfindet.
Den Forschern gelang es auch, die ferromagnetischen Tröpfchen in unterschiedliche Form zu bringen. So konnten sie etwa durch Einsaugen in ein kleines Röhrchen die Tröpfchen in zylindrische Varietäten bringen. Aber auch abgeplattete „Pfannkuchen“-Nanotropfen waren möglich. Mit ein paar Tricks gelang es sogar, Tintenfisch-artige Tröpfchen mit mehreren abstehenden Armen zu erzeugen, die dennoch ihre Magnetisierung beibehielten. Die magnetischen Eigenschaften der Tropfen blieben sogar dann erhalten, wenn die Wissenschaftler sie in kleinere Tröpfchen teilten, die den Durchmesser eines menschlichen Haares hatten. Bei dieser Umformung blieb der magnetische Dipolcharakter erhalten, auch wenn die Struktur der miteinander verhafteten Nanoteilchen aufgebrochen und neu angeordnet wurde
„Besonders überraschend ist es, dass die Sättigung der Magnetisierung von der Gesamtzahl der Nanoteilchen sowohl im Tröpfchen als auch an der Oberfläche abhängt“, erläutert Russell. Nicht nur die aneinander haftenden Nanoteilchen an der Oberfläche, sondern auch die frei herumschwimmenden Partikel im Innern zeigten also ferromagnetisches Verhalten. Dies ließ sich mit einem einfachen Experiment belegen: Wenn die Forscher ein Tröpfchen in viele kleinere aufteilten, vergrößerte sich die Oberfläche im Vergleich zum Volumen um ein Vielfaches. Die Gesamtmagnetisierung blieb allerdings gleich. Die Gründe für dieses Verhalten sind noch nicht geklärt, die Wissenschaftler arbeiten daran. Das Interessante aber: Die Abstände zwischen den Teilchen sind eigentlich zu groß, um starke wechselseitige Dipolkopplungen zuzulassen. Insgesamt zeigte sich in den Messungen das typische Verhalten eines schwachen ferromagnetischen Materials mit geringer remanenter Magnetisierung und einer schmalen Hysteresekurve.
Mit solchen ferromagnetischen Nanotröpfchen lassen sich im Prinzip ganz verschiedene Dinge tun. Man könnte sie etwa dazu nutzen, medizinische Wirkstoffe gezielt zu an bestimmte Stellen im Körper zu bringen. Etwas einfacher dürfte sich die Entwicklung neuartiger mechanischer Bauteile darstellen. So denken die Wissenschaftler an flüssige Aktuatoren, mit denen sich etwa in der Mikrofluidik Substanzen dirigieren lassen. Eine nicht allzu schwer umsetzbare Idee besteht darin, solche flüssigen Magnete in flüssigen Reaktionssystemen als Mischer zu verwenden. Diese ließen sich etwa in rein flüssigkeitsbasierten 3D-Druckern einsetzen. Auch könnte man Roboter mit flüssigmagnetischen Strukturen ausstatten, die sich mit externen Magnetfeldern bewegen lassen. Man könnte aber auch programmierbare flüssigmagnetische Strukturen schaffen, um daran etwa Effekte der Selbstorganisation zu studieren.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
X. Liu et al.: Reconfigurableliquid droplets, Science 365, 264 (2019); DOI: 10.1126/science.aaw871 - Beijing Advanced Innovation Center for Soft Matter Science and Engineering, Beijing University of Chemical Technology, Beijiing, China
- Materials Discovery, Design and Synthesis, Berkeley Lab
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