08.05.2015

Flüstergalerie aus Graphen

Kreisförmiger pn-Übergang hält Elektronenwellen fest.

Resonatoren hoher Güte, mit denen man Lichtwellen lange einschließen kann, sind in der Optik unverzichtbar. Für die Elektronen­optik, die mit Elektronen- statt Lichtwellen arbeitet, werden solche Bauelemente noch entwickelt. Jetzt haben Forscher vom NIST in Gaithersburg einen Resonator aus Graphen gebaut, der Elektronen­wellen durch einem kreisförmigen pn-Übergang festhält.

Abb.: (A) Die Graphenschicht befindet sich zwischen der kugelförmigen Spitze eines Rastertunnelmikroskops (Radius R) und einer Elektrode (grau). Der kreisförmige pn-Übergang bildet den Rand des Resonators. (B) Im Resonator sind Moden mit kleiner Drehimpuls­quantenzahl m (links: m=5) schwächer lokalisiert als solche mit großem m (rechts: m=13), die Flüster­galerie­moden. (Bild: Y. Zhao et al.)

Die Entwicklung von Resonatoren für Elektronenwellen hat eine lange Geschichte. So hatten 1993 Don Eigler und seine Mitarbeiter von IBM lokalisierte Elektronenwellen auf einer Kupferoberfläche angeregt, die in einem nanometergroßen kreisförmigen Gehege, begrenzt von einem Ring aus 48 Eisenatomen, eingeschlossen waren. Doch dieser Resonator ließ sich nur schwer verstellen, da die Atome dazu einzeln mit der Spitze eines Rasterkraftmikroskops auf der Metalloberfläche verschoben werden mussten.

Schneller konfigurieren lassen sich Resonatoren aus Halb­eiter­hetero­strukturen, in denen sich die Elektron­wellen in einer dünnen, quasi zweidimensionalen Schicht ausbreiten und dabei durch Elektroden beeinflusst werden. Auf diese Weise hat man mit ein- oder mehrlagigem Graphen, der zweidimensionalen Form des Kohlenstoffs, Fabry-Perot-Resonatoren hergestellt und an ihnen Leit­fähig­keits­oszillationen beobachtet.

Da die Energie eines Elektrons im Graphen linear von seinem Impuls abhängt, breitet sich die dazugehörende Elektronenwelle ähnlich aus wie eine Lichtwelle, die eine lineare Dispersions­relation aufweist. Dank dieser Ähnlichkeit lässt sich vieles aus der Lichtoptik auf die Graphen-Elektronenoptik übertragen. So kann man z. B. die Transmission und Brechung der Elektronen­wellen in Graphen-Hetero­strukturen mit Elektroden verändern und auf diese Weise Spiegel und Linsen herstellen.

Forscher um Joseph Stroscio vom NIST in Gaithersburg haben einen Flüster­galerie­resonator, wie man ihn für Schall- oder Lichtwellen kennt, für Elektronenwellen hergestellt. Die bekannteste Flüster­galerie befindet sich in London in der Kuppel der St. Paul’s Cathedral, entlang deren Innenwand sich Schallwellen kaum abgeschwächt ausbreiten können. Auch in optischen Flüster­galerie­resonatoren bilden sich Moden aus, die nahe einer Grenzfläche lokalisiert sind und durch Totalreflexion daran gehindert werden, aus dem Resonator zu entweichen.

Die elektronische Flüstergalerie vom NIST bestand aus einer Graphenlage, unter der sich eine Schicht Bornitrid, eine isolierende Schicht Silizium­dioxid und darunter eine Elektrode aus dotiertem Silizium als Backgate befanden. Über dem Graphen, in einem Abstand von etwa 1 Nanometer, befand sich die kugelförmige Spitze eines Rastertunnelmikroskops, die die Rolle eines Topgates spielte.

An das Graphen und an das Backgate wurden elektrische Spannungen von etwa 200 Millivolt bzw. 20 Volt angelegt. Diese Spannungen waren so gepolt und bemessen, dass in einem kreisförmigen, etwa 100 Nanometer großen Gebiet direkt unter der Spitze die beweglichen Ladungen ein anderes Vorzeichen hatten als außerhalb dieses Bereichs. Fand hier z. B. Elektronen­leitung statt, so trat dort Löcherleitung auf, oder umgekehrt. Es bildete sich ein pn-Übergang.

Da die Bewegung der Elektronen im Graphen durch die Dirac-Gleichung beschrieben wird, entsprachen die Löcher den Antielektronen oder Positronen. Das Potential, das von der Spitze und dem Backgate hervorgerufen wurde, wäre in der Lage gewesen wäre, nicht­relativistische Elektronen oder Löcher unter der Spitze festzuhalten. Doch die Dirac-Elektronen konnten wegen des relativistischen Klein-Paradoxons aus diesem Gebiet heraustunneln, wenn sie unter nicht zu flachem Winkel auf den Rand des Kreisgebietes trafen. Umgekehrt wurden Elektronenwellen umso besser in diesem Gebiet festgehalten, je größer ihre Dreh­impuls­quanten­zahl m war. Diese am Rand des Gebietes lokalisierten Flüster­galerie­moden konnten die Forscher indirekt beobachten.

Dazu haben sie systematisch die beiden Spannungen verändert, die am Graphen und am Backgate lagen, und dabei den Tunnelstrom gemessen, der durch die geerdete Spitze ins Graphen floss. Die daraus ermittelte differentielle Leitfähigkeit zeigte zahlreiche Maxima, die Resonanzen entsprachen. In der Spannungsebene bildeten die Maxima Interferenz­streifen, die fächerartig angeordnet waren. Aus dem Abstand der Streifen und ihrer Verteilung konnten die Forscher zahlreiche Schlüsse über die dabei angeregten Flüster­galerie­moden ziehen. So berechneten sie, dass der Resonator, in dem diese Moden lokalisiert waren, einen Durchmesser von 100 Nanometern hatte.

Eine direkte Beobachtung der Intensitäts­verteilung der Elektronenwellen, wie sie Eigler und seinen Kollegen gelungen war, steht für die Flüstergaleriemoden noch aus. Doch schon jetzt eröffnet das NIST-Experiment interessante Möglichkeiten. So kann die Größe und möglicherweise auch die Form des Elektronen­wellen­resonators ebenso schnell geändert werden, wie die Wellenlänge der angeregten Moden. Dies gestattet es, Experimente durchzuführen, die bisher nur in der Optik möglich waren. So könnte man exotische Linsen herstellen, die für die Elektronen­wellen einen negativen Brechungsindex haben und sie perfekt bündeln.

Rainer Scharf

DE

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