Flugzeug-Vereisung durch unterkühlte Wassertropfen
Mit neuen Verfahren Vereisungszustand schneller und zuverlässiger zu erkennen.
Vereisung an Flugzeugen ist keine Frage der Jahreszeit, sondern der Wetterbedingungen. Im EU-Projekt SENS4ICE – die Abkürzung steht für „Sensors and certifiable hybrid architectures for safer aviation in icing environment“ – erforscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gemeinsam mit 18 internationalen Partnern das Thema Vereisung und die Auswirkungen auf das Flugverhalten. Im Fokus steht dabei ein besonderes Phänomen: unterkühlte große Tropfen, englisch die „supercooled large droplets“, kurz SLD. Diese unterkühlten Wassertropfen mit einem Durchmesser größer als fünfzig Mikrometer können unter ganz bestimmten Wetterbedingungen in der Atmosphäre auftreten und zur Vereisung von Flugzeugen führen.
Für typische Vereisungsbedingungen sind größere Flugzeuge schon heute mit effektiven Enteisungssystemen ausgestattet. Ablagerungen von Eis insbesondere an Flügelvorderkanten oder Triebwerkseinläufen werden so verhindert. Für Verkehrsflugzeuge sind solche Schutzsysteme bereits seit Jahrzehnten im Zulassungsprozess vorgeschrieben. Unter besonderen Wetterbedingungen können Wassertropfen bei Minusgraden jedoch noch in flüssiger Form auftreten. Das geschieht zum Beispiel bei Inversionswetterlagen, wenn Wassertropfen aus wärmeren durch kältere Luftschichten fallen. Die dabei entstehenden großen unterkühlten Wassertropfen vereisen erst dann, wenn sie beispielsweise auf die Oberfläche eines Flugzeugflügels auftreffen – und können so zu Eisablagerungen auch hinter den Enteisungssystemen führen.
„Diese SLD-Vereisung beeinflusst die aerodynamischen Eigenschaften des Flugzeugs ungünstig, der Luftwiderstand wird deutlich erhöht und der Treibstoffverbrauch steigt. Zudem verschlechtert sich die Auftriebscharakteristik und in sehr unwahrscheinlichen Extremfällen kann ein Strömungsabriss die Folge sein“, erklärt Projektleiter Carsten Schwarz vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik. „Zu diesen speziellen Vereisungsbedingungen gibt es seit einigen Jahren zusätzliche Zulassungsvorschriften. Zuverlässige Sensoren und Methoden, die diese SLD-Bedingungen detektieren, sind daher ein wichtiger Bestandteil für Flugzeuge, die in Vereisungsbedingungen fliegen.“
Im Projekt SENS4ICE untersuchen die Wissenschaftler deshalb einen neuen Ansatz, verschiedene Detektionsmöglichkeiten miteinander zu kombinieren, um SLD-Vereisung am Flugzeug frühzeitig und zuverlässig zu erkennen. Am DLR-Institut für Flugsystemtechnik in Braunschweig wird dafür ein Überwachungsalgorithmus entwickelt, der die Flugzeugeigenschaften kontinuierlich überprüft. Ändert sich beispielsweise der Luftwiderstand deutlich, spricht das für eine potenzielle Vereisung am Flugzeug. „Einen fortgeschrittenen Vereisungsgrad würde der Pilot ab einem gewissen Punkt daran erkennen, dass in Folge des stärkeren Widerstands mehr Schub erforderlich ist. Der Vorteil des Überwachungsalgorithmus ist, dass bereits kleine Änderungen erkannt werden und den Piloten frühzeitig ein Warnhinweis gegeben werden kann“, so Schwarz.
Bei der Vereisungserkennung am Flugzeug werden in einem weiteren Ansatz die Ergebnisse verschiedener, teilweise neu entwickelter Sensoren berücksichtigt. Insgesamt zehn verschiedene Sensortechnologien nehmen die Forscher unter die Lupe. So wird unter anderem direkt detektiert, ob auf der Oberfläche des Flugzeugs Eisbildung vorliegt. Dafür entwickelt das DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik eine spezielle Sensortechnologie auf Basis von Ultraschallwellen.
Weitere Sensoren, wie Wolkenpartikelsonden, messen die atmosphärischen Bedingungen wie Wassergehalt und Tröpfchengröße. Mit Hilfe von Lasermessungen überprüfen sie, wie viele Tropfen sich in der Luft befinden und wie groß deren Durchmesser ist. Das DLR-Institut für Physik der Atmosphäre begleitet die Wolkenmessungen und liefert eine Referenz für die neuen Sensortechnologien.
„Wir sprechen dabei von einer Hybrid-Lösung: Die Ergebnisse der indirekten Überwachung des Flugzustands und der direkten Sensoren zur Beobachtung von atmosphärischen Bedingungen und Eisbildung fließen zusammen und ermöglichen es uns, einen Vereisungszustand am Flugzeug schneller und zuverlässiger zu erkennen“, sagt Schwarz. Welche der Sensoren sich am besten für das Hybrid-System eignen, soll sowohl in Windkanalversuchen in Deutschland, den USA und Russland sowie später auch in Flugversuchen in Nordamerika und in Europa erprobt werden.
DLR / RK
Weitere Infos
- Projekt SENS4ICE –Sensors and certifiable hybrid architectures for safer aviation in icing environment
- Institut für Flugsystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Braunschweig