Fraktale Elektronen
Bei der Anordnung in selbstähnlichen Strukturen nehmen Elektronen eine fraktale Dimensionalität an.
In der Biologie sind fraktale Gebilde ein lange bekanntes und wirkungsvolles Bauprinzip: Nicht nur der Romanesco-Blumenkohl, auch Farne, Nautilusschnecken und zahlreiche andere Organismen beruhen auf selbstähnlichen Strukturen, die auf verschiedenen Größenskalen das gleiche Muster aufweisen. Auch im menschlichen Körper finden sich fraktale Einheiten. So sind etwa Lungenbläschen und das Venennetzwerk fraktal aufgebaut. Nun können sich biologische Muster nicht bis ins Mikroskopische fortsetzen, sondern enden spätestens auf der Zellebene. Mathematisch gesehen besitzen Fraktale aber eine verblüffende Eigenschaft: Sie besitzen eine „krumme“ Anzahl von Dimensionen.
Abb.: Abbildung der Wellenfunktion über die Leitfähigkeit der im Sierpinski-Dreieck gefangenen Elektronen. (Bild: S. N. Kempkes et al.)
Das erklärt sich daraus, dass etwa ein Sierpinski-Dreieck sich weder durch eine Fläche, noch durch einen Strich darstellen lässt: Unterteilt man ein gleichseitiges Dreieck stets entlang der Kantenmitte in vier gleich große Unterdreiecke und entfernt das mittlere, und führt diesen Prozess rekursiv mit allen neu entstehenden Dreiecken fort bis ins Unendliche, dann entsteht eine fraktale Struktur, die auf allen Größenordnungen zu sich selbst ähnlich ist – und das weder eine Fläche, noch etwas Linienförmiges ist. Die Dimension des Sierpinski-Dreiecks berechnet sich zu log2 3, was ungefähr 1,58 ergibt. Nun verhalten sich Elektronen unterschiedlich, je nachdem, ob sie in ein-, zwei- oder dreidimensionalen Strukturen vorliegen. So bilden sie etwa in einer Dimension eine Luttinger-Flüssigkeit, in zwei Dimensionen hingegen zeigen sie den Quanten-Hall-Effekt. Ein Forscherteam um Ingmar Swart und C. Morais Smith von der Universität Utrecht hat deshalb nun die Eigenschaften von Elektronen in selbstähnlichen Nanostrukturen untersucht, um herauszufinden, inwieweit sich ihr Verhalten entsprechend der fraktalen Dimension ihrer Umgebung ändert.
Hierzu erzeugten die Forscher zunächst ein mikroskopisches Sierpinski-Dreieck. Auf der Oberfläche eines Kupferkristalls brachten sie mit hoher Präzision Kohlenmonoxid-Moleküle an. Die entlang des Kristallgitters geschnittene Oberfläche des Kupferkristalls eignet sich besonders für derartige Versuche, weil die Elektronen sich einerseits quasi frei auf der Oberfläche bewegen können, andererseits aber auch an diese Schicht gebunden sind. Die Kohlenmonoxid-Moleküle wiederum fungierten als abstoßendes Potenzial, mit dem die Wissenschaftler die Bewegungsfreiheit der Elektronen auf bestimmte Bereiche einschränken konnten.
Die Forscher ordneten zahlreiche Kohlenmonoxid-Moleküle mit einem Rastertunnelmikroskop so an, dass sich ein Sierpinski-Dreieck in dritter Generation ergab – bei dem also drei Iterationen an Löchern im Muster auftauchten. Das gesamte Gebilde hatte eine Ausdehnung von nur knapp zwanzig Nanometern, wobei die kleinsten Abstände zwischen benachbarten Dreiecksplätzen gut einen Nanometer betrugen. Um thermisches Rauschen zu minimieren, geschahen die Versuche bei einer Temperatur von 4,5 Kelvin.
Die Dimensionalität der Elektronen überprüften die Wissenschaftler dann ebenfalls per Rastertunnelmikroskop, indem sie die räumlich und energetisch aufgelöste lokale Zustandsdichte abtasteten. Bei allen gemessenen Energien hatten die Elektronen eine Dimension von 1,58, was der mathematisch zu erwartenden Zahl entspricht. Die Elektronen verhielten sich also so, als ob sie sich in einem nicht ganzzahligen Raum aufhielten. Dabei zeigte sich in den räumlichen Mustern der Wellenfunktion bei unterschiedlichen Energien eine stehende Welle, die von der Interferenz der Elektronen herrührte, die sich an den abstoßenden Kohlenmonoxid-Molekülen streuten. Wie die Fourier-Analyse ergab, entsprach dieses Muster den drei Generationen des Sierpinski-Dreiecks. Auch im Impulsraum spiegelte sich also die fraktale Natur der räumlichen Anordnung wieder. Interessant am Versuch ist auch die Tatsache, dass es bereits bei nur drei Iterationen der Verschachtelung eines solchen fraktalen Gebildes bereits zu einer so klaren „Dimensionsverschiebung“ der Elektronen kommt.
Die Wissenschaftler analysierten ihr System auch theoretisch, und zwar auf zwei verschiedene Weisen. Einmal als eng gebundenes System, bei dem die Elektronen zwischen benachbarten Plätzen hin und her springen können, ein andermal als zweidimensionales Elektronengas, das im Sierpinski-Dreieck eingeschlossen ist. In beiden Fällen konnten sie die stationäre Schrödingergleichung lösen, wobei beide Beschreibungsweisen im Einklang mit den experimentellen Ergebnissen waren. Was sich mit solchen gebrochen-dimensionalen Elektronengasen in Zukunft alles anstellen lässt, ist noch ein offenes Forschungsgebiet. Fraktale Elektronik könnte besondere Effekte mit sich bringen, die sich mit neuartigen Quantenpunkten, topologisch geschützten Zuständen und ähnlichen Dingen ausnützen lassen.
Dirk Eidemüller
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