11.11.2021

Freie Elektronen als Qubits

Freie Elektronen in Elektronenstrahl mit kurzen Laserpulsen zu Quantenbits moduliert.

Die Gesetze der Quantenphysik sind nicht nur außergewöhnlich – sie bieten auch weitreichende und einzigartige Möglichkeiten für die Informationsverarbeitung und die Kryptographie. Zu den bisherigen Grundbausteinen von Quanten-Maschinen zählen elektrische Schaltkreise in Form von supraleitenden Resonatoren, Licht in Form von Photonen oder Atome in Form von Ionenketten.

 

Alle diese Quanten-Systeme haben jedoch auch ihre Nachteile, und die Wissenschaft sucht daher fortlaufend nach sinnvollen Alternativen. In ihrer jüngsten Veröffentlichung haben Forscher der Universität Konstanz einen Weg gefunden, ein freies Elektron im Vakuum in ein sogenanntes Zwei-Niveau-Quantenbit zu modulieren. Derartige Qubits sind die Grundbausteine der Informations­verarbeitung in Quanten­computern.

Zur Erzeugung ihrer Qubits aus freien Elektronen verwendeten die Forscher den Elektronenstrahl eines Transmissions­elektronen­mikroskops und kreuzen ihn mit dem elektrischen Feld von klassischem Laserlicht. „Die daraus resultierenden Materie-Wellen-Interferenzen führen zu einer regelmäßigen Modulation der Energie der Elektronen in einzelne, genau definierte Energieniveaus, welche wir als Ressource für die Qubit-Erzeugung nutzen“, erklärt Peter Baum, Leiter des Forschungsteams.

Bei genauer Betrachtung sind die im Experiment verwendeten freien Elektronen aus dem Elektronenstrahl keine Punkt­teilchen, sondern Wellenfunktionen mit einer endlichen Kohärenzlänge, die mehrere Licht­schwingungen des verwendeten Laserstrahls umfasst. In diesem Fall wird durch benachbarte optische Feldzyklen zu mehreren Zeitpunkten dieselbe Endenergie kohärent erzeugt. Als Konsequenz daraus erzeugen Materie-Wellen-Interferenzen eine periodische Modulation des Energiespektrums in diskrete Energie­seitenbänder, welche die Forscher als Ressource für ein zweistufiges Quantensystem nutzen. Die Quanten­operationen werden dann durch einfache Ausbreitung im freien Raum durchgeführt, bei der die verschiedenen Seitenbänder aufgrund der Ruhemasse der Elektronen nichtlineare Materiewellen-Phasen annehmen, gefolgt von einer zweiten Laserinteraktion und Seitenband­erzeugung einige Zentimeter später im Strahl. Auf diese Weise kann nahezu jeder Punkt auf der Bloch-Kugel erreicht werden, mit der Qubit-Zustände als Punkte auf der Oberfläche einer Einheitskugel geometrisch repräsentiert werden.

Interessanterweise führt die Kreuzung von Elektronen- und Laserstrahl im Experiment nicht nur zu den geschilderten, für die Qubit-Erzeugung relevanten Phänomenen im Energie­bereich. Bei der richtigen Wahl der Laserparameter ergeben sich zusätzlich nutzbare Phänomene im Zeitbereich: Der Elektronenstrahl wandelt sich durch den Laserbeschuss in eine Folge von extrem kurzen Elektronen­pulsen mit Dauern im Attosekunden-Bereich um.

„In derartig kurzen Zeitspannen legt selbst Licht lediglich die Strecke des Durchmessers eines größeren Moleküls zurück“, verbildlicht Peter Baum die Größenordnung. Solch extrem kurze Elektronenpulse können bei der ultraschnellen Elektronen­mikroskopie zur Aufklärung komplexer Licht-Materie-Wechselwirkungen zum Einsatz kommen und dort neben einer enormen räumlichen Auflösung auf atomarer Ebene zusätzlich eine maximale zeitliche Auflösung ermöglichen.

Ein weiteres praktisches Merkmal der Qubits und der Attosekunden-Elektronenpulse im Experiment ist deren hohe Entstehungsrate: Es werden rund eine Milliarde Qubits beziehungsweise Attosekunden-Elektronenpulse pro Sekunde erzeugt. Diese hohe Rate wird durch die Verwendung einer kontinuierlichen, nicht gepulsten Elektronen­quelle und eines kontinuierlichen, nicht gepulsten Laserstrahls erreicht. Auf diese Art und Weise wird nahezu jedes freie Elektron des Elektronenstrahls moduliert. Das einzige Limit für die Erzeugung von Qubits ergibt sich aus der Leistungs­grenze moderner hochenergetischer Elektronenquellen.

Lasergeformte freie Elektronen und Qubits sind jedoch nicht nur deshalb ein interessantes und praktisches Objekt für weitere Untersuchungen. „Im Vakuum des freien Raums geht ein Elektron als Elementar­teilchen mit keinem Material Wechselwirkungen ein. Die Dekohärenz – der Verlust von Information an die Umgebung – ist daher verhältnismäßig langsam", ergänzt Peter Baum. „Außerdem ist die laseroptische Steuerung von Elektronen­strahlen vielseitig und schnell zu schalten." Freie-Elektronen-Qubits unter Laserkontrolle könnten deshalb in Zukunft eine wichtige Rolle sowohl für die Grundlagen­forschung als auch die Anwendung im Bereich der Quanten­informatik spielen.

U. Konstanz / DE

 

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