Frustration führt zu Supraleitung
Laserboost für frustriertes Quantensystem.
Wie entsteht Supraleitung bei relativ hohen Temperaturen in bestimmten Materialien? Wann gehen viele Elektronen in einen Quantenzustand über, der verlustfrei Elektrizität transportieren kann und wie können diese Temperaturen noch weiter erhöht werden? Mit diesen wichtigen Fragen hat sich ein Forscherteam der University of Oxford und des MPI für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg befasst. Jetzt berichten die Wissenschaftler, dass eine dynamische Version der Supraleitung, die durch periodisches Schütteln des Materials erzeugt wird, eng mit starken elektronischen Korrelationen und geometrischer Frustration verbunden ist.
Geometrische Frustration ist eine Eigenschaft von wechselwirkenden Quantensystemen mit einem Spin-Freiheitsgrad, der mit kleinen Kompassnadeln verglichen werden kann. Wenn diese Spins in einem Antiferromagneten nebeneinander liegen, versuchen sie, in entgegengesetzte Richtungen zu zeigen, um ihre Energie zu senken – einer davon nach Norden, der andere nach Süden. Würde man nun einen dritten Spin in einem Dreieck mit den zwei anderen anordnen – wie sollte er sich ausrichten? Wenn er nach Norden zeigt, widerstrebt es dem ersten Spin, wenn er nach Süden zeigt, dem zweiten. Dieses Dilemma wird als Frustration bezeichnet und ist die Wurzel vieler faszinierender Eigenschaften von Quantenmaterialien.
Ein Theorieteam unter der Leitung von Dieter Jaksch an der University of Oxford und Michael Sentef am MPI für Struktur und Dynamik der Materie hat jetzt einen neuen Weg zur Ausnutzung der magnetischen Frustration aufgezeigt. Wenn das frustrierte Material durch einen kurzen Laserpuls der richtigen Frequenz angeregt wird, kann es bei Temperaturen supraleitend werden, die viel höher sind als diejenigen, bei denen im gleichen Material Supraleitung ohne Laseranregung entsteht. „Wir waren verblüfft, als wir diesen Effekt zum ersten Mal in unseren numerischen Ergebnissen sahen“, sagt Joseph Tindall aus Jakschs Gruppe.
Die Idee für diese Studie entstand aus einer Kollaboration mit der Experimentalgruppe von Andrea Cavalleri am MPI für Struktur und Dynamik der Materie, die Anfang dieses Jahres über lichtinduzierte Supraleitung in einem frustrierten organischen Leiter berichtet hatte. „In unserem Experiment beobachteten wir supraleitendes Verhalten bei relativ hohen Temperaturen, wenn wir einen Laser bei Frequenzen verwendeten, die spezifische Gitterschwingungen des Kristalls auslösen können“, erklärt Michele Buzzi vom MPI für Struktur und Dynamik der Materie. „Wir wandten uns dann an unsere Theoriekollegen, um zu verstehen, was diese besonderen Schwingungen auszeichnete.“
„Berechnungen hatten uns gezeigt, dass bestimmte Schwingungen es ermöglichen, die gegenseitige Coulomb-Abstoßung zwischen Elektronen im organischen Leiter dynamisch zu modulieren“, erklärt Sentef. Die von Tindall durchgeführten numerischen Simulationen nutzten diese Information als Input, um zu untersuchen, unter welchen Umständen diese dynamischen Wechselwirkungen zu supraleitendem Verhalten führen könnten. Dabei kam heraus, dass ein gewisser Grad an Frustration dazu beiträgt, den supraleitenden Zustand durch Laserstimulation zu erzeugen.
„Wir glauben, dass unsere Ergebnisse auf einen allgemeineren Mechanismus für die dynamische Erzeugung von Supraleitung hinweisen“, erklärt Jaksch. „Während unsere Studie durch das Experiment in der Cavalleri-Gruppe motiviert war, weist unsere theoretische und numerische Analyse auf die wichtigen Faktoren für den Effekt hin: die Kombination von Frustration, der richtigen Frequenz des Lasers und der Gitterstruktur des zugrunde liegenden Materials.“ Und Cavalleri ergänzt: „Wir hoffen, dass uns diese Ergebnisse Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Materialien zeigen werden, bei denen wir in unseren Experimenten bereits lichtinduzierte Supraleitung beobachtet haben. Das wäre richtungsweisend für die Suche nach neuartigen Materialien, die erforscht werden sollten.“
MPSD / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Tindall et al.: Dynamical Order and Superconductivity in a Frustrated Many-Body System, Phys. Rev. Lett. 125, 137001 (2020); DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.137001 - Theoretische Beschreibung von Pump-Probe-Spektroskopien in Festkörpern (M. Sentef), Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, Hamburg
- Quantum Systems Engineering (D. Jaksch), Dept. of Physics, University of Oxford, Großbritannien
Weitere Beiträge
- Dieter Jaksch, Ein Baustein stark korrelierter Materie (Physik Journal, Mai 2015, S. 20) PDF
- Dieter Jaksch, Kalte Atome im Quantenkarussell (Physik Journal, März 2012, S. 19) PDF