23.05.2022

Galaktische Molekülwolke in 3D

Morphologie von Molekülwolken in zwei großen Sternentstehungswolken ermittelt.

Mithilfe von Zehntausenden von Sternen, die von der Raumsonde Gaia beobachtet wurden, haben Sara Rezaei Khoshbakht und Jouni Kainulainen die drei­dimensionale Gestalt zweier großer sternbildender Molekül­wolken, der Kalifornien-Wolke und der Orion-A-Wolke, ermittelt. Auf herkömmlichen 2D-Bildern erscheinen sie ähnlich strukturiert und enthalten Filamente aus Staub und Gas mit scheinbar vergleichbaren Dichten. In 3D sehen sie jedoch ganz anders aus. Tatsächlich sind ihre Dichten sehr viel unterschiedlicher, als ihre auf die Himmels­ebene projizierten Bilder vermuten lassen. Dieses Ergebnis löst das seit langem bestehende Rätsel, warum diese beiden Wolken Sterne mit unter­schiedlicher Intensität bilden.

 

Abb.: Die Gestalt der Kalifornien- und der Orion-A-Wolke aus zwei verschiedenen...
Abb.: Die Gestalt der Kalifornien- und der Orion-A-Wolke aus zwei verschiedenen Perspektiven bei einer räumlichen Auflösung von 15 Lichtjahren. Die Farben zeigen die Dichte an, wobei rote Farben für höhere Werte stehen. (Bild: Rezaei Koshbakht & Kainulainen / MPIA)

Kosmische Gas- und Staubwolken sind die Geburtsstätten von Sternen. Genauer gesagt bilden sich Sterne in den dichtesten Taschen solchen Materials. Die Temperaturen sinken bis nahe an den absoluten Null­punkt, und das dicht gepackte Gas kollabiert unter seinem eigenen Gewicht und bildet schließlich einen Stern. „Die Dichte, also die Menge an Materie, die in einem bestimmten Volumen komprimiert ist, ist eine der entscheidenden Eigenschaften, die die Effizienz der Sternentstehung bestimmt“, sagt Sara Rezaei Khoshbakht. Sie ist Astronomin am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und die Haupt­autorin eines neuen Artikels.

In einer Pilotstudie, die in diesem Artikel beschrieben wird, haben Sara Rezaei Khoshbakht und ihr Mitautor Jouni Kainulainen eine Methode angewandt, mit der sie die 3D-Morphologie von Molekülwolken in zwei riesigen Stern­entstehungs­wolken rekonstruieren konnten. Kainulainen ist Wissenschaftler an der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg, Schweden. Früher war er auch am MPIA tätig. Ihre Ziele waren die Orion-A-Wolke und die Kalifornien-Wolke.

Normalerweise ist es schwierig, die Dichte in Wolken zu messen. „Alles, was wir sehen, wenn wir Objekte im Weltraum beobachten, ist ihre zweidimensionale Projektion auf einer vermeintlichen Himmelsphäre“, erklärt Jouni Kainulainen. Er ist Experte für die Interpretation des Einflusses kosmischer Materie auf das Sternen­licht und die Berechnung von Dichten aus solchen Daten. Kainulainen fügt hinzu: „Herkömmlichen Beobachtungen fehlt es an der nötigen Tiefe. Daher ist die einzige Dichte, die wir normalerweise aus solchen Daten ableiten können, die so genannte Säulendichte.“

Die Säulendichte ist die entlang einer Sichtlinie aufsummierten Materie­teilchen geteilt durch den projizierten Querschnitt. Daher spiegeln diese Säulendichten nicht unbedingt die tatsächlichen Dichten von Molekül­wolken wider, was problematisch ist, wenn man Wolken­eigenschaften mit der Stern­entstehungs­aktivität in Verbindung setzt. Die Bilder der beiden in dieser Arbeit untersuchten Wolken, die thermische Staubemission zeigen, weisen ähnliche Strukturen und Dichten auf. Ihre sehr unterschiedlichen Stern­entstehungs­raten geben jedoch seit vielen Jahren Rätsel auf.

Die neue 3D-Rekonstruktion zeigt nun, dass sich diese beiden Wolken gar nicht so ähnlich sind. Trotz des filamentartigen Aussehens auf den 2D-Bildern ist die Kalifornien-Wolke eine flache, fast 500 Lichtjahre lange Materialschicht mit einer großen Blase, die sich darunter erstreckt. Daher kann man der Kalifornien-Wolke nicht nur eine einzige Entfernung zuordnen, was erhebliche Auswirkungen auf die Interpretation ihrer Eigenschaften hat. Aus unserer Perspektive von der Erde aus gesehen ist die Kalifornien-Wolke fast exakt zur Kante hin ausgerichtet, was eine filament­artige Struktur nur vortäuscht. Infolgedessen ist die tatsächliche Dichte der Wolke viel geringer, als die Säulendichte vermuten lässt, was die Diskrepanz zwischen den früheren Dichte­schätzungen und der Stern­entstehungs­rate der Wolke erklärt.

Und wie sieht die Orion-A-Wolke in 3D aus? Das Team bestätigte die dichte filament­artige Struktur, die auf den 2D-Bildern zu sehen war. Die tatsächliche Morphologie der Wolke unterscheidet sich jedoch auch von dem, was wir in 2D sehen. Orion A ist ziemlich komplex, mit zusätzlichen Verdichtungen entlang des markanten Gas- und Staubgrats. Im Durchschnitt ist Orion A viel dichter als die Kalifornien-Wolke, was ihre ausgeprägtere Stern­entstehungs­aktivität erklärt.

Sara Rezaei Khoshbakht, die ebenfalls in Chalmers tätig ist, entwickelte die 3D-Rekonstruktionsmethode während ihrer Doktorarbeit am MPIA. Dabei wird die Veränderung des Sternen­lichts beim Durchqueren dieser Gas- und Staubwolken analysiert, das von der Raumsonde Gaia und anderen Teleskopen gemessen wurde. Gaia ist ein Projekt der Europäischen Weltraum­organisation (ESA), dessen Haupt­zweck darin besteht, die Entfernungen zu über einer Milliarde Sternen in der Milchstraße genau zu vermessen. Diese Entfernungen sind entscheidend für die 3D-Rekonstruktions­methode.

„Wir haben das Licht von 160.000 beziehungsweise 60.000 Sternen für die Kalifornien-Wolke und die Orion A-Wolke analysiert und miteinander kombiniert“, sagt Sara Rezaei Khoshbakht. Die beiden Forscher rekonstruierten die Wolkenstrukturen und -dichten mit einer Auflösung von nur 15 Lichtjahren. „Dies ist nicht der einzige Ansatz, den Astronomen und Astronominnen verwenden, um räumliche Wolken­strukturen zu bestimmen“, fügt Rezaei Khosbakht hinzu. „Aber unsere Methode liefert robuste und zuverlässige Ergebnisse ohne numerische Artefakte.“

Diese Studie beweist, dass sie das Potenzial hat, die Erforschung der Stern­entstehung in der Milchstraße zu verbessern, indem sie eine dritte Dimension hinzufügt. „Ich denke, ein wichtiges Ergebnis dieser Arbeit ist, dass sie Studien in Frage stellt, die sich ausschließlich auf Werte für die Säulendichte verlassen, um Eigenschaften der Stern­entstehung abzuleiten und sie miteinander zu vergleichen“, schließt Sara Rezaei Khoshbakht.

Diese Arbeit ist jedoch nur der erste Schritt zu dem, was die beiden Astronomen erreichen wollen. Sara Rezaei Khoshbakht verfolgt ein Projekt, das letztendlich die räumliche Verteilung des Staubs in der gesamten Milchstraße ermitteln und ihre Verbindung zur Stern­entstehung aufklären soll.

MPIA / DE

 

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