Galaktische Quellen und Karussells
Simulation zeigt, wie im Kosmos Ordnung aus Chaos entstand.
Bei kosmologischen Simulationen müssen sich Astrophysiker mit Blick auf die verfügbare Rechenleistung entscheiden: entweder sehr detailgetreu simulieren oder ein großes Volumen an virtuellem Raum umfassen, aber nicht beides. Detaillierte Simulationen mit stark begrenztem Volumen können nicht mehr als ein paar Galaxien modellieren, was statistische Rückschlüsse erschwert. Großräumigen Simulationen wiederum fehlen typischerweise die notwendigen Details, um wichtige Eigenschaften auf kleineren Skalen zu erklären. Wissenschaftler aus Deutschland und den USA haben jetzt die Ergebnisse einer neuen, besonders umfangreichen Simulation der Evolution von Galaxien vorgestellt. TNG50 ist die bisher detailreichste kosmologische Großsimulation. Sie ermöglicht es im Detail zu untersuchen, wie sich Galaxien bilden und wie sie sich von der Zeit kurz nach dem Urknall bis heute entwickelt haben. Die Simulation zeigt zum ersten Mal, dass die Geometrie der kosmischen Gasflüsse in und um Galaxien die Struktur der Galaxien beeinflusst und sich die Eigenschaften jener Gasflüsse umgekehrt wiederum aus der Evolution der Galaxien ergeben.
In einem simulierten würfelförmigen Ausschnitt des Weltalls mit Seitenlängen von 230 Millionen Lichtjahren kann TNG50 physikalische Phänomene darstellen, die auf einer Million Mal kleineren Skalen auftreten und so die gleichzeitige Entwicklung Tausender von Galaxien über 13,8 Milliarden Jahre kosmischer Geschichte hinweg verfolgen. Die Bausteine der Simulation sind dabei 20 Milliarden „Teilchen“, die dunkle Materie, Sterne, kosmisches Gas, Magnetfelder und supermassereiche schwarze Löcher darstellen. Die Berechnung selbst erforderte 16.000 Computerkerne auf dem Supercomputer Hazel Hen in Stuttgart, die mehr als ein Jahr lang rund um die Uhr am Rechnen waren.
Zu den ersten wissenschaftlichen Ergebnissen von TNG50 zählen einige unerwartete Phänomene. „Numerische Experimente dieser Art sind besonders erfolgreich, wenn mehr herauskommt, als man hineingesteckt hat“, sagt Dylan Nelson vom MPI für Astrophysik. „In unserer Simulation sehen wir Phänomene, die wir nicht explizit vorprogrammiert hatten. Diese Phänomene ergeben sich auf natürliche Weise aus dem Zusammenspiel der grundlegenden physikalischen Bestandteile unseres Modelluniversums.“
TNG50 liefert zwei eindrückliche Beispiele für diese Art von emergentem Verhalten. Im ersten Beispiel geht es um die Entstehung von Scheibengalaxien wie unserer Milchstraße. Mit TNG50 konnten die Forscher die kosmische Geschichte zurückspulen und sich dann systematisch ansehen, wie die schnell rotierenden Scheibengalaxien mit ihren geordneten Sternbewegungen aus den chaotischen, ungeordneten und hoch turbulenten Gaswolken früherer Epochen hervorgehen. Nach und nach kommt das Gas dabei zur Ruhe und Sterne, die aus diesem Gas entstehen, finden sich damit immer häufiger auf Kreisbahnen und bilden schließlich eine große Spiralgalaxie als eine Art galaktisches Karussell.
„TNG50 zeigt, dass sich unsere Galaxie mit ihrer dünnen Scheibe voll im Trend befindet“, sagt Annalisa Pillepich vom MPI für Astronomie. „In den vergangenen zehn Milliarden Jahren sind zumindest diejenigen Galaxien, in denen noch neue Sterne entstehen, immer scheibenartiger geworden, und ihre chaotischen inneren Bewegungsmuster haben sich deutlich abgeschwächt. Das Universum war viel chaotischer als heute, als es nur ein paar Milliarden Jahre alt war.“
Und noch ein weiteres emergentes Phänomen haben die Wissenschaftler bei der simulierten Evolution der Galaxien ausgemacht: Gas und Teilchenwinde, die mit hoher Geschwindigkeit aus den Galaxien ausströmen. Hervorgerufen wird dieses Phänomen durch Supernova-
Unter dem Schwerkrafteinfluss des Halos an dunkler Materie, in dem sich die Galaxie befindet, werden diese Winde dann immer langsamer. Sie können sie auf die Ursprungsgalaxie zurückfallen und diese mit recyceltem Gas versorgen. Der Prozess sorgt außerdem für eine Umverteilung des Gases vom Zentrum einer Galaxie in ihre Außenbezirke und beschleunigt damit die Umwandlung der Galaxie in eine dünne Scheibe: Galaktische Strukturen bringen galaktische Fontänen hervor und umgekehrt.
Ebenso wie die anderen Simulationen der TNG-Familie werden die Wissenschaftler des TNG50-Teams ihre Simulationsdaten beizeiten im Ganzen veröffentlichen. Dann können Astronomen weltweit ihre eigenen Entdeckungen im TNG50-Universum machen – und womöglich noch weitere Beispiel für emergente kosmische Phänomene finden, bei denen auf kosmischen Größenskalen Ordnung aus dem Chaos des frühen Universums hervorgeht.
MPIA / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen:
D. Nelson et al.: First results from the TNG50 simulation: galactic outflows driven by supernovae and black hole feedback, Mon. Not. R. Astron. Soc. 490, 3234 (2019); DOI: 10.1093/mnras/stz2306
A. Pillepich et al.: First results from the TNG50 simulation: the evolution of stellar and gaseous discs across cosmic time, Mon. Not. R. Astron. Soc. 490, 3196 (2019); DOI: 10.1093/mnras/stz2338 - The Illustris TNG Project