10.05.2019 • Astrophysik

Galaxien ohne dunkle Materie

Illustris-Simulation zeigt: Es gibt zwei Arten von Zwerggalaxien.

Nach dem Standardmodell der Kosmologie besteht das Universum bis zu achtzig Prozent aus dunkler Materie. Diese verhindert mit ihren Gravitationskräften, dass Galaxien durch die in ihnen wirkenden Fliehkräfte zerreißen. Allerdings gilt das möglicherweise nicht immer. „Wir haben im Jahr 2012 postuliert, dass manche Arten von Zwerggalaxien keine dunkle Materie enthalten“, erklärt Pavel Kroupa von der Uni Bonn. „Tatsächlich konnten wir diese theoretische Überlegung nun mit Hilfe der Illustris-Computersimulation bestätigen.“

Abb.: Die Abbildung zeigt einen kleinen Ausschnitt der Illustris-Simulation:...
Abb.: Die Abbildung zeigt einen kleinen Ausschnitt der Illustris-Simulation: Gezeiten-Zwerggalaxien (rot) enthalten im Gegensatz zu primordialen Zwerggalaxien (blau) keine dunkle Materie. (Bild: The Illustris Collaboration / U. Bonn)

Zwerggalaxien unterscheiden sich von normalen Galaxien vor allem durch ihre geringere Größe. Die in ihnen enthaltenen Sterne enthalten zusammen nur einige hundert Millionen Sonnenmassen. Zum Vergleich: Die Sterne der Milchstraße enthalten zusammen etwa sechzig Milliarden Sonnenmassen. Die meisten der Mini-Galaxien werden als primordiale Galaxien bezeichnet. Sie entstanden in der Zeit nach dem Urknall durch Kondensation von gasförmiger Materie. Die dunkle Materie wirkte dabei als Kondensationskeim: Sie zog mit ihren Gravitationskräften Gaswolken an, die sich mit der Zeit zu Millionen von Sternen verdichteten.

Daneben gibt es aber noch eine andere Sorte von Zwerggalaxien. Sie entstehen, wenn zwei normale Galaxien kollidieren. Bei diesem Crash wirken aufgrund der gegenseitigen Anziehung beider Galaxien Gezeitenkräfte. Diese schleudern große Mengen Materie aus der Peripherie der Kollision heraus. „Die Zwerggalaxien, die sich dabei bilden, werden auch als Gezeiten-Galaxien bezeichnet“, erklärt Kroupas Mitarbeiter Moritz Haslbauer. „Sie enthalten aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte keine bis kaum dunkle Materie.“

In der Illustris-1-Simulation lässt sich die Entwicklung des Universums seit der Zeit kurz nach dem Urknall nachvollziehen. Sie bestätigt dieses „Zwei-Zwerge-Theorem“: Neben primordialen Zwerggalaxien mit einem großen Anteil dunkler Materie müsste es demnach also auch Gezeiten-Galaxien ohne dunkle Materie geben. Verglichen mit primordialen Zwerggalaxien gleicher Masse sollten diese zudem einen deutlich kleineren Radius aufweisen. Denn aufgrund der fehlenden Gravitationskräfte der dunklen Materie müssen sie deutlich kompakter sein, da sie sonst die Sterne in ihrer Peripherie nicht festhalten könnten.

„An dieser Stelle stoßen wir auf einen unerklärlichen Unterschied zu heutigen Beobachtungsdaten“, betont Haslbauer. „Alle bislang gefundenen Zwerggalaxien weisen nämlich ähnliche Masse-zu-Radius-Verhältnisse auf. Das heißt, den von der Simulation postulierten Größenunterschied scheint es nicht zu geben.“ Kroupa wertet das als Hinweis darauf, dass es vielleicht gar keine dunkle Materie gibt. Tatsächlich gibt es für deren Existenz bislang nur theoretische Hinweise, direkt nachgewiesen wurde sie trotz intensiver Suche noch nicht. „Wir vermuten stattdessen, dass die Newtonschen Gravitationsgesetze unter Bedingungen, wie sie in Galaxien herrschen, modifiziert werden müssen“, erklärt der Forscher. In der Fachwelt wird diese MOND-Theorie – das Akronym steht für „modifizierte Newtonsche Dynamik“ – allerdings strittig diskutiert. „Sie würde aber neben anderen Phänomenen auch das Größen-Problem sehr schön lösen“, betont Kroupa.

RFWU Bonn / RK

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