Gebühren-Flickenteppich
Das Verfassungsgericht hat die Studiengebühren-Ära in Deutschland eingeläutet. Zu befürchten sind 16 unterschiedliche Länderregelungen.
Gebühren-Flickenteppich
Das Verfassungsgericht hat die Studiengebühren-Ära in Deutschland eingeläutet. Zu befürchten sind 16 unterschiedliche Länderregelungen.
Karlsruhe (dpa) - Das Verfassungsgericht hat die Studiengebühren-Ära in Deutschland eingeläutet. Über Sinn oder Unsinn eines gebührenpflichtigen Erststudiums und der absehbar unterschiedlichen Gebührenregelungen in 16 Bundesländern entschieden die Richter dabei nicht. Dies sei auch Aufgabe der Politik. Allerdings brachte der Zweite Senat mit seinem Urteil vom Mittwoch ein tiefes Vertrauen in den föderalen Länderwettbewerb zum Ausdruck. Die 16 werden das schon richten, lautete die Botschaft der obersten Verfassungshüter vom Mittwoch.
Dabei hatten es doch die Länder schon einmal gerichtet. Keine fünf Jahre ist es her, dass sich die Kultusminister einstimmig auf den Fortbestand eines gebührenfreien Erststudium in der gesamten Republik verständigt hatten. Inhaltlich war dieser Beschluss sogar von den Ministerpräsidenten bestätigt worden. Nur einen Staatsvertrag wollte man damals nicht abschließen.
Erst danach und nach langem Zögern hatte sich Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) doch zu der bundesgesetzlichen Regelung entschlossen, die jetzt das Gericht kassierte. Und noch im Bundestagswahlkampf 2002 hatte Bayerns Regegierungschef Edmund Stoiber (CSU) als Kanzlerkandidat der Union Studiengebühren abgelehnt. Jetzt will Bayern bei den Gebühren der Erste sein. Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) möchte sie am liebsten schon in diesem Herbst einführen.
All die Verwerfungen, die Bulmahn in Erwartung eines Gebühren-Flickenteppichs durch 16 unterschiedliche Länderregelungen in dem Verfahren beschworen hatte - sie sind aus Karlsruher Sicht unwahrscheinlich. Dass die Karawane der Studienanfänger von den entgeltpflichtigen in die gebührenfreien Länder zieht und dort die Hochschulen verstopft, dafür sehen die Richter «zurzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte». Sollte es doch so kommen, können die Länder ja reagieren, etwa durch einen verschärften Numerus Clausus.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sieht dagegen «gravierende Wettbewerbsverzerrungen» voraus, wenn künftig Studenten aus Unionsländern mit Gebühren in die gebührenfreien Hochschulen der SPD-Länder strömen. Dafür will Beck eine neue Form des Länderfinanzausgleichs, ein «Vorteilsausgleich» nach Schweizer Vorbild. Sonst müsse das gebührenfreie Studium auf Landeskinder beschränkt werden, allenfalls mit Ausnahmen für Ausländer oder die Besten aus anderen Bundesländern, argumentiert Zöllner.
Der Karlsruher Richterspruch beschert der Bildungspolitik im derzeit ohnehin angespannten Bund-Länder-Verhältnis aber noch ganz andere Hausaufgaben. So bekommt ein Münchner Student mit Bafög-Anspruch bei Fortsetzung seines Studiums in Österreich - oder auch in den USA - nach geltendem Bafög-Recht die dort üblichen Gebühren ersetzt. Was aber, wenn der Münchner an seiner Heimathochschule bleiben will und ebenfalls auf Gebührenerstattung pocht? Muss dann der Bund mit seinem heute schon strapazierten Bafög-Etat auch noch für Bayerns Studiengebühren aufkommen?
Die Unionsländer haben für ihre Gebührenpläne Kreditmodelle rechnen lassen - meist bei eigenen Landesbank oder sogar bei der KfW-Bankengruppe des Bundes. Der Leitzins ist derzeit günstig wie nie und schönt diese Berechnungen. Was aber, wenn der interne Bankenzins sich verdoppelt? Wer will für Ausfälle garantieren? In den Schubladen vieler Ministerien liegen zwar fertige Gebührenpläne, nicht aber Stipendien- und Kreditmodelle.
Vize-Gerichtspräsident Winfried Hassemer formulierte bei der Urteilsverkündung «eine Erwartung an die Länder». Die Wahrung gleicher Bildungschancen und die Rücksicht auf ärmere Schichten müsse auch bei der Einführung von Gebühren gewährleistet sein. Doch schon immer war in keinem anderen Industriestaat der Welt der Bildungserfolg so abhängig vom Einkommen der Eltern wie in Deutschland. Seit drei Jahrzehnten liegen dazu den Kultusministern robuste Daten vor. Doch dies scheint einige bei der Einführung von Studiengebühren nicht weiter zu bremsen.
Wolfgang Janisch und Karl-Heinz Reith, dpa
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Aktenzeichen:
2 BvF 1/03 vom 26. Januar 2005Bundesverfassungsgericht:
http://www.bverfg.de