Getrennt in einer Dimension: elektrische Ladung und Spin

Quantensimulator bestätigt fünfzig Jahre alte Vermutung.

Die elektrische Ladung eines Elektrons und sein Spin scheinen untrennbar mit­ein­ander verbunden zu sein. Doch in einer streng ein­dimen­sio­nalen Quanten­welt sind beide Quanten­eigen­schaften von­ein­ander lösbar. Diese fünfzig Jahre alte Vermutung konnte nun ein Team vom Munich Center for Quantum Science and Techno­logy experi­mentell bestätigen. Für ihre erfolg­reiche Demon­stration benutzten die Forscher einen Quanten­simulator. Ein solcher speziali­sierter Quanten­computer kann die Quanten­eigen­schaften eines Materials exakt berechnen, woran herkömm­liche Super­computer scheitern.

Abb.: Kette von Atomen im Quantensimulator (links), die Zeit läuft von oben...
Abb.: Kette von Atomen im Quantensimulator (links), die Zeit läuft von oben nach unten. Ganz oben die ungestörte Kette, In der zweiten Position wird ein Atom herausgekickt. Daraufhin wandert das Holon (hellgrau) nach rechts und das Spinon nach links. Rechts: Zustand der Kette vor (oben) und nach der Störung (unten). Die hellen und dunklen Felder entsprechen entgegengesetzten Spins, das helle Feld in der unteren Reihe ist das Holon. (Bild: MPQ)

Im Experiment realisieren die Forscher die ein­dimen­sionale Quanten­welt durch eine Kette magnetischer Atome. In jedem dieser Atome gibt es ein besonderes Elektron, dessen nicht abge­schirmter Spin das Atom zu einem kleinen Magneten macht. Da sich die gegen­sätz­lichen Pole der Magnete anziehen, richten sich diese gegen­sinnig aus: Zeigt ein Nordpol nach oben, dann zeigt der benach­barte nach unten, der über­nächste wieder nach oben. So entsteht eine Kette aus abwechselnd nach oben und unten zeigenden Spins. Die Vorher­sage besagt nun: Stört man solche ein­dimen­sio­nalen Quanten­ketten geschickt, dann können sich die Ladung und der Spin eines Elektrons in einem Atom von­ein­ander trennen. Danach sollten beide als zwei getrennte Quasi­teilchen die Kette entlang­laufen.

Das Team stand vor einer experi­men­tellen Heraus­forderung: Die heutige Nano­techno­logie kann zwar ein­dimen­sionale Atom­ketten herstellen. Aber die Atome haben dann einen Abstand in der Größen­ordnung eines Zehntel­nano­meters. Das ist zu winzig, um die Atome unter einem Licht­mikroskop zu beobachten und ihr Verhalten zu studieren. Hier kommt der Quanten­simulator ins Spiel. Im Prinzip funktioniert er, als würde man die Kette durch ein Gummiband ersetzen und dieses so stark aus­ein­ander­ziehen, dass der Abstand der Atome unter­ein­ander grob zehn­tausend­mal größer wird.

Diesen Mikrometerbereich kann nun ein Licht­mikroskop auflösen. Sichtbar werden die winzigen Atome, indem Laser­licht sie zum Auf­leuchten bringt. Das „Gummiband“ besteht im Experiment aus einem Gitter sich kreuzender Laser­licht­strahlen. Jede Licht­kreuzung wirkt wie eine Falle, die ein Atom, hier ein Lithium­atom, einfängt. Damit sie sich wie Elektronen in einem echten Material verhalten, müssen sie zuerst auf ultra­tiefe Tempera­turen im Vakuum abgekühlt werden.

Lithiumatome sind fermionisch, also kleine Magneten, getragen von einem nicht abge­schirmten Elektronen­spin. Nun mussten die Forscher sich noch einen Trick aus­denken, wie ihr Quanten­simulator diesen Spin sicht­bar machen kann. Dazu lockern sie die Fesseln aus Licht für eine kurze Zeit. Die Folge: Die Atome scheren aus der Kette kurz leicht nach oben oder unten aus, je nach Richtung ihres Spins.

Sobald die Kette der Atome präpariert ist, kicken die Forscher mit Laser­licht ein Atom aus der Mitte der Kette heraus. Dieser „Quench“ erzeugt zwei Quasi­teilchen in der Kette. Das erste Quasi­teilchen ist das vom heraus­ge­worfenen Atom hinter­lassene Loch. Dieses Holon trägt die Quanten­eigen­schaft der Elektronen­ladung in sich. Das zweite Quasi­teilchen, Spinon genannt, entsteht aus den gleich­ge­richteten Spins der beiden Nachbarn links und rechts vom Loch. Verglichen mit dem Hinter­grund der sonst streng gegen­sinnigen Orien­tie­rung der Spins in der Kette, trägt das Spinon nun einen über­zähligen Spin aus dem Quench. Das Team konnte in seinem Quanten­simulator genau verfolgen, wie die beiden Störungen die Atom­kette entlang­wandern. Tatsäch­lich zeigte sich, dass sie sich trennen und unter­schied­lich schnell und in entgegen­gesetzte Richtung bewegen. Ladung und Spin sind völlig unab­hängig von­ein­ander.

Die Trennbarkeit von Ladung und Spin könnte eines Tages auch Anwendungen in der Quanten­informa­tions­techno­logie finden. Vor allem aber demon­striert das Experi­ment erfolg­reich, dass Quanten­simu­latoren sich zu einer ernst zu nehmenden Technik entwickeln. Denn selbst her­kömm­liche Super­computer scheitern am exakten Berechnen solcher Quanten­systeme. Genau diese elegante Möglich­keit bieten ultra­kalte Atome in Licht­gittern. Damit könnten sie in Zukunft ein gezieltes Design neuer Materialien ermöglichen, die zum Beispiel bei Raum­temperatur supra­leitend werden.

MPQ / RK

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