21.12.2016

Gewaltige Ströme in Graphen

Kohlenstoff-Material kann ein Ungleichgewicht der elektrischen Ladung in äußerst kurzer Zeit ausgleichen.

Ein inter­nationales Forschungs­team unter der Leitung von Fritz Aumayr vom Institut für Ange­wandte Physik der TU Wien konnte nun zeigen, dass die Elektronen in Graphen extrem mobil sind und äußerst schnell reagieren. Xenon-Ionen mit besonders hoher elek­trischer Ladung wurden auf eine Graphen-Schicht geschossen. Dadurch wurde dem Graphen an einer ganz bestimmten Stelle eine große Anzahl von Elektronen entrissen. Das Material war aller­dings in der Lage, die Elektronen inner­halb von Femto­sekunden wieder nachzuliefern. Dabei entstanden kurz­fristig extrem hohe Ströme, die unter gewöhn­lichen Bedin­gungen gar nicht möglich wären. Seine außer­gewöhnlichen elek­tronischen Eigenschaften machen Graphen zu einem wichtigen Hoffnungs­träger für zukünftige Anwen­dungen in der Elek­tronik

Abb.: Das starke elektrische Feld des hochgeladenen Ions kann dem Graphen innerhalb von wenigen Femtosekunden Dutzende Elektronen entreißen. Aber weil Graphen in der Lage ist, höhe elektrische Strome zu transportieren, kann es die fehlende Ladung in kürzester Zeit wieder ausgleichen. (Bild: E. Gruber et al. / NPG)

„Wir arbeiten mit extrem hochge­ladenen Xenon-Ionen“, erklärt Elisabeth Gruber aus dem Forschungs­team von Aumayr. „Bis zu 35 Elektronen werden aus den Xenon-Atomen entfernt, die Atome sind also stark positiv elek­trisch geladen.“ Mit diesen Ionen wurde ein Stück Graphen beschossen, das frei­tragend zwischen mikro­skopisch kleinen Hal­terungen aufgespannt war. „Das Xenon-Ion durchschlägt die Graphen-Schicht und kann dabei auch ein Kohlen­stoff-Atom aus dem Graphen heraus­schlagen – doch das spielt kaum eine Rolle, in die frei­gewordene Lücke im Graphen setzt sich später ein anderes Kohlen­stoff-Atom“, erklärt Elisabeth Gruber. „Für uns ist viel interes­santer, wie das hoch­geladene Ion durch sein elek­trisches Feld die Elektronen der Graphen-Schicht beeinflusst.“

Schon vor dem Aufprall auf der Graphen­schicht nämlich, während sich das hochge­ladene Xenon-Ion an das Graphen annäherte, entriss es ihm durch sein extrem starkes elek­trisches Feld bereits Elektronen. Bis das Ion die Graphen­schicht vollständig durchquert hatte, war aus seiner über 30fachen positiven Ladung eine weniger als 10fache Ladung geworden. Mehr als 20 Elektronen konnte das Ion aus einem winzig kleinen Bereich der Graphen­schicht absaugen.

Das bedeutet, dass in der Graphen­schicht nun Elektronen fehlten, die Kohlen­stoffatome in der Gegend des Xenon-Einschlags waren positiv geladen. „Eigentlich würde man nun erwarten, dass sich diese positiv gela­denen Kohlen­stoff-Ionen gegen­seitig abstoßen, dass sie in einer Coulomb-Explo­sion davon­fliegen und ein großes Loch im Material hinter­lassen“, sagt Richard Wilhelm vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossen­dorf, der derzeit an der TU Wien tätig ist. „Doch erstaun­licherweise ist das nicht der Fall. Die positive Ladung im Graphen wird praktisch augen­blicklich ausge­glichen.“

Möglich ist das nur, weil in Graphen inner­halb einer extrem kurzen Zeitspanne von wenigen Femto­sekunden ausreichend viele Elektronen nachge­liefert werden konnten. „Die elek­tronische Antwort des Materials auf die Störung durch das Xenon-Ion kommt extrem schnell. Starke Ströme aus benach­barten Regionen der Graphen­schicht liefern recht­zeitig Elektronen herbei, bevor es durch Abstoßung der positiven Ladungen zu einer Explosion kommt“, erklärt Elisabeth Gruber. „Die Strom­dichte ist etwa ein­tausend mal höher, als die, welche unter normalen Umständen zur Zerstörung des Materials führen würde – doch auf diesen Distanzen und Zeit­skalen kann Graphen solche extremen Ströme unbe­schadet über­stehen.“

Diese extrem hohe Mobi­lität der Elektronen in Graphen hat eine große Bedeutung für viele mögliche Anwen­dungen: „Die Hoffnung ist, dass man genau aus diesem Grund Graphen benutzen kann, um extrem schnelle Elektronik zu bauen. Auch für die Optik, beziehungs­weise die Verbindung von op­tischen und elek­tronischen Bauteilen scheint Graphen hervor­ragend geeignet zu sein“, sagt Aumayr.

TU Wien / JOL

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