Gewaltige Ströme in Graphen
Kohlenstoff-Material kann ein Ungleichgewicht der elektrischen Ladung in äußerst kurzer Zeit ausgleichen.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Fritz Aumayr vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien konnte nun zeigen, dass die Elektronen in Graphen extrem mobil sind und äußerst schnell reagieren. Xenon-Ionen mit besonders hoher elektrischer Ladung wurden auf eine Graphen-Schicht geschossen. Dadurch wurde dem Graphen an einer ganz bestimmten Stelle eine große Anzahl von Elektronen entrissen. Das Material war allerdings in der Lage, die Elektronen innerhalb von Femtosekunden wieder nachzuliefern. Dabei entstanden kurzfristig extrem hohe Ströme, die unter gewöhnlichen Bedingungen gar nicht möglich wären. Seine außergewöhnlichen elektronischen Eigenschaften machen Graphen zu einem wichtigen Hoffnungsträger für zukünftige Anwendungen in der Elektronik
Abb.: Das starke elektrische Feld des hochgeladenen Ions kann dem Graphen innerhalb von wenigen Femtosekunden Dutzende Elektronen entreißen. Aber weil Graphen in der Lage ist, höhe elektrische Strome zu transportieren, kann es die fehlende Ladung in kürzester Zeit wieder ausgleichen. (Bild: E. Gruber et al. / NPG)
„Wir arbeiten mit extrem hochgeladenen Xenon-Ionen“, erklärt Elisabeth Gruber aus dem Forschungsteam von Aumayr. „Bis zu 35 Elektronen werden aus den Xenon-Atomen entfernt, die Atome sind also stark positiv elektrisch geladen.“ Mit diesen Ionen wurde ein Stück Graphen beschossen, das freitragend zwischen mikroskopisch kleinen Halterungen aufgespannt war. „Das Xenon-Ion durchschlägt die Graphen-Schicht und kann dabei auch ein Kohlenstoff-Atom aus dem Graphen herausschlagen – doch das spielt kaum eine Rolle, in die freigewordene Lücke im Graphen setzt sich später ein anderes Kohlenstoff-Atom“, erklärt Elisabeth Gruber. „Für uns ist viel interessanter, wie das hochgeladene Ion durch sein elektrisches Feld die Elektronen der Graphen-Schicht beeinflusst.“
Schon vor dem Aufprall auf der Graphenschicht nämlich, während sich das hochgeladene Xenon-Ion an das Graphen annäherte, entriss es ihm durch sein extrem starkes elektrisches Feld bereits Elektronen. Bis das Ion die Graphenschicht vollständig durchquert hatte, war aus seiner über 30fachen positiven Ladung eine weniger als 10fache Ladung geworden. Mehr als 20 Elektronen konnte das Ion aus einem winzig kleinen Bereich der Graphenschicht absaugen.
Das bedeutet, dass in der Graphenschicht nun Elektronen fehlten, die Kohlenstoffatome in der Gegend des Xenon-Einschlags waren positiv geladen. „Eigentlich würde man nun erwarten, dass sich diese positiv geladenen Kohlenstoff-Ionen gegenseitig abstoßen, dass sie in einer Coulomb-Explosion davonfliegen und ein großes Loch im Material hinterlassen“, sagt Richard Wilhelm vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, der derzeit an der TU Wien tätig ist. „Doch erstaunlicherweise ist das nicht der Fall. Die positive Ladung im Graphen wird praktisch augenblicklich ausgeglichen.“
Möglich ist das nur, weil in Graphen innerhalb einer extrem kurzen Zeitspanne von wenigen Femtosekunden ausreichend viele Elektronen nachgeliefert werden konnten. „Die elektronische Antwort des Materials auf die Störung durch das Xenon-Ion kommt extrem schnell. Starke Ströme aus benachbarten Regionen der Graphenschicht liefern rechtzeitig Elektronen herbei, bevor es durch Abstoßung der positiven Ladungen zu einer Explosion kommt“, erklärt Elisabeth Gruber. „Die Stromdichte ist etwa eintausend mal höher, als die, welche unter normalen Umständen zur Zerstörung des Materials führen würde – doch auf diesen Distanzen und Zeitskalen kann Graphen solche extremen Ströme unbeschadet überstehen.“
Diese extrem hohe Mobilität der Elektronen in Graphen hat eine große Bedeutung für viele mögliche Anwendungen: „Die Hoffnung ist, dass man genau aus diesem Grund Graphen benutzen kann, um extrem schnelle Elektronik zu bauen. Auch für die Optik, beziehungsweise die Verbindung von optischen und elektronischen Bauteilen scheint Graphen hervorragend geeignet zu sein“, sagt Aumayr.
TU Wien / JOL