21.11.2008

Gitter-QCD nagelt Hadronenmassen fest

Vorhersagen von Theorie und Experiment stimmen gut überein.



Vorhersagen von Theorie und Experiment stimmen gut überein.


Wie kommen das Proton, das Neutron und die anderen stark wechselwirkenden Teilchen, die Hadronen, eigentlich zu ihren Massen? Für diese Frage ist die Quantenchromodynamik (QCD) zuständig. Ihr zufolge bestehen die Hadronen aus Quarks, die von Gluonen zusammengehalten werden. Die ursprünglich masselosen Quarks und Gluonen erhalten ihre Massen vermutlich durch Kopplung an das Higgs-Feld. Die Protonen- und die Neutronenmasse sind jedoch überraschender Weise viel größer als die Summe der Massen aller Quarks und Gluonen, aus denen diese beiden Kernbausteine bestehen. Die QCD kann dies quantitativ zufriedenstellend erklären, wie ein europäisches Forscherteam mit umfangreichen Computerberechnungen gezeigt hat.



Abb.:  Bildkollage bestehend aus den Computern mit deren Hilfe die Berechnungen zu dem QCD Model angestellt wurden, Quarks und Weltraumbild. (Bild: Forschungszentrum Jülich)


Dass die Masse eines Protons oder Neutrons viel größer ist als die seiner Bestandteile, der up- und down-Quarks sowie der Gluonen, liegt an der enormen Bindungsenergie, die die Quarks und Gluonen zusammenhält. Diese starke Bindung verhindert, dass einzelne Quarks oder Gluonen das Innere des Hadrons verlassen können. Nur Quarktripel oder Quark-Antiquark-Paare sind gegen die Bindungskräfte abgeschirmt und können aus diesem „Confinement“ entweichen. Erst wenn die Quarks Energien haben, die mehr als hundertmal größer sind als die Ruhemasse des Protons, lassen die Bindungskräfte nach und die Quarks bewegen sich im Hadron, als wären sie frei. In diesem Grenzfall kann man die Vorhersagen der QCD durch Störungstheorie berechnen.

Bei niedrigen Anregungsenergien sind die Verhältnisse in einem Hadron hingegen sehr unübersichtlich. Die Kopplung zwischen den Quarks ist so stark, dass die Störungstheorie versagt und die QCD zunächst keine brauchbaren Vorhersagen liefert. In diesem Fall hilft die Gitter-QCD weiter, die auf den Nobelpreisträger Kenneth Wilson zurückgeht. Er hatte 1974 vorgeschlagen, das Raumzeitkontinuum, in dem sich die Quarks und Gluonen bewegen, durch ein vierdimensionales Gitter zu ersetzen. Mit leistungsfähigen Computern kann man das Treiben der Quarks und Gluonen auf diesem Gitter rechnerisch verfolgen und daraus näherungsweise die jeweilige Hadronenmasse bestimmen. Macht man das Gitter immer engmaschiger, so kommt man dem exakten Wert für die Hadronenmasse immer näher. Für einen Gitterabstand von 0,125 fm sollten die berechneten Hadronenmassen nur um etwa 1 % von den tatsächlichen Massen abweichen.

Stephan Dürr vom John von Neumann–Institut in Zeuthen und seine deutschen, ungarischen und französischen Kollegen haben jetzt die bisher genauesten Berechnungen der Massen leichter Hadronen durchgeführt. Dazu mussten sie zusätzliche Vereinfachungen machen. So nahmen sie an, dass in einem Hadron zwar beliebig viele virtuelle Quark-Antiquark-Paare der leichten up- und down-Quarks entstehenden und wieder vergehen können. Für die schwereren strange-Quarks ließen sie jedoch nur das Auftreten eines virtuellen Paares zu. Diese Prozesse polarisieren das QCD-Vakuum und verändern dadurch die Hadronenmasse. Noch schwerere Quarks blieben unberücksichtigt. Die Forscher berechneten die Massen von acht Baryonen (je drei Quarks) und vier Mesonen (je ein Quark-Antiquark-Paar). Die Ergebnisse ließen sich jedoch nicht in physikalischen Einheiten angeben, da in sie Parameter eingingen, über die die QCD keine Angaben macht: die Massen der leichten und des seltsamen Quarks sowie die Stärke der Kopplung zwischen Quarks und Gluonen.

Die unbekannten Parameter fixierten die Forscher mit Hilfe der experimentell gemessenen Massen der π- und K-Mesonen und des Ξ-Baryons. Daraufhin wichen die berechneten Massen der übrigen neun Teilchen von ihren tatsächlichen Massen um weniger als 4 % ab. So lag die berechnete Neutronenmasse bei 936 MeV/c2 während der tatsächliche Wert 939 MeV/c2 ist. Offensichtlich gibt die QCD eine korrekte Beschreibung davon, wie die Hadronen durch die starke Wechselwirkung zwischen den Quarks und Gluonen ihre Masse gewinnen. Doch wie die Quarks und Gluonen zu ihrer Masse kommen und welche Physik jenseits der QCD und des Standardmodels der Teilchenphysik liegt, das werden erst die geplanten Experimente mit dem Large Hadron Collider am CERN bei Genf zeigen.

RAINER SCHARF


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