16.10.2017

Gravitationswelle von einem Gamma-Ray Burst

Nur zehn Tage nach der Bekanntgabe des Physik-Nobelpreises verkünden die Gravitationswellen-Forscher eine neue Sensation.

Am 17. August 2017 um 14:41:04 MESZ lief eine Gravitationswelle (Bezeichnung GW170817) über die beiden Ligo-Anlagen in den USA und die erst jüngst in Betrieb genommene Anlage Virgo in Italien hinweg. "Wir haben sofort gesehen, dass es dieses Mal nicht von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern kam," sagt Karsten Danzmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert Einstein Institut) in Hannover und Leiter des deutsch-britischen Gravitationswellen-Detektors Geo600. In seinem Institut analysiert ein Supercomputer den ankommenden Datenstrom unablässig. "Das Signal dauerte um die hundert Sekunden." Viel länger als die bislang gemessenen Raumbeben von zwei Schwarzen Löchern, die im Bruchteil einer Sekunde miteinander verschmelzen. Dieses Mal kam die Welle von zwei kollidierenden Neutronensternen, gefolgt von einem Gammastrahlenblitz (Abb. 1).

Abb. 1 Numerisch-relativistische Simulation zweier einander umkreisender und verschmelzender Neutronensterne und die abgestrahlten Gravitationswellen (Simulation: T. Dietrich (AEI) und BAM-Kollaboration; Visualisierung: T. Dietrich, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (AEI)).

Gamma-Ray Bursts leuchten irgendwo unerwartet am Himmel auf und verblassen dann wieder. Die Forscher unterscheiden zwei Typen, die unterschiedlich lange dauern. Das jetzt mit Gravitationswellen entdeckte Objekt gehört zur Klasse der kurzen Bursts. Sie flammen im Gammabereich weniger als zwei Sekunden lang auf, gefolgt von einem bis zu zwei Minuten andauernder Röntgenausbruch und einem Nachleuchten zum Beispiel im sichtbaren Licht. In der kurzen Phase des Gammablitzes strahlen diese Himmelskörper so viel Energie ab wie unsere Sonne im Verlaufe von mehreren Milliarden Jahren.

Am 17. August registrierte das Weltraumteleskop Fermi 1,7 Sekunden nach dem Eintreffen der Gravitationswelle einen solchen Gammastrahlenblitz, der aus derselben Himmelsregion kam wie die Gravitationswelle. Zusätzlich alarmierte ein automatisches Warnsystem Observatorien am Boden und im Weltraum, um die verdächtige Himmelsregion abzusuchen (Abb. 2). Bislang blieb dieses System folgenlos, weil bei verschmelzenden Schwarzen Löchern keine Strahlung frei wird. Doch dieses Mal war es anders.

Abb 2. Gravitationswellensignal bis 6 Sekunde vor dem Verschmezen (Mitte) sowie die 1,7 Sekunden später ankommenden Gammablitze, gemessen mit den Weltraumteleskopen Fermi (oben) und Integral (Credit: NASA's Goddard Space Flight Center, Caltech/MIT/LIGO Lab and ESA). 

Binnen 12 Stunden nach der Entdeckung von GW170817 entdeckten Astronomen einen neuen Himmelskörper in der Galaxie NGC 4993, der langsam schwächer wurde. Letztendlich beobachteten mehr als 70 Observatorien auf der Erde und im All dieses Nachleuchten im Bereich der Röntgenstrahlung, im Ultravioletten, im sichtbaren Licht, im Infraroten und mit Radiowellen. Alle Beobachtungsdaten sprechen eindeutig für ein Modell der kurzen Gamma-Ray Burst, das die Astronomen seit etwa zwanzig Jahren favorisieren: die Kollision von zwei Neutronensternen.

Neutronensterne sind Überreste von massereichen Sternen mit Durchmessern von etwa 20 km. Die Materie im Innern ist so dicht, dass ein Stück von der Größe eines Zuckerwürfels auf der Erde mehrere hundert Millionen Tonnen wiegen würde. Umkreisen sich zwei Neutronensterne, so strahlen sie Gravitationswellen ab, was ihnen Energie entzieht. Als Folge kommen sich die beiden Körper auf einer spiralförmigen Bahn langsam näher, bis sich ihre Oberflächen berühren. Beim Zusammenprall erhitzt sich die extrem verdichtete Materie bis auf mehrere hundert Milliarden Grad. Ein Teil verwirbelt zu einem Torus, der um den kollabierenden Zentralkörper herumrast. Zusätzlich verdrillen sich Magnetfelder entlang der Rotationsachse. Torus und Magnetfelder sorgen dafür, dass heißes Gas in Form von zwei gebündelten Strahlen (Jets) mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ins All hinausschießt. Sie geben die Gammastrahlung ab. Prallt die Jetmaterie danach auf umgebende Materie, so heizt sich diese ebenfalls auf und strahlt. Das ist der nachleuchtende Feuerball. Der neu entstandene Zentralkörper kann entweder auch ein Neutronenstern sein. Möglich ist aber auch, dass er unter der Wucht der enormen Schwerkraft zu einem Schwarzen Loch kollabiert.

Die genaue Analyse der Ligo-Daten ergab, dass die beiden Neutronensterne 1,1 beziehungsweise1,6 Mal so viel Masse besaßen wie unsere Sonne und sich am Schluss fast 200 Mal pro Sekunde umkreisten.

Gravitationswellen bieten auch eine einzigartige Möglichkeit, etwas über die innere Struktur von Neutronensternen, die sogenannte Zustandsgleichung, zu erfahren, über die eine Fülle von Theorien mit teils sehr exotischen Materiezuständen existieren. Aus der Form der Gravitationswelle können die Physiker ersehen, wie stark sich die beiden Körper durch die gegenseitige Schwerkraft unmittelbar vor der Kollision verformt haben. Das gibt Auskunft über die inneren Kräfte. Mit den Messungen von GW170817 konnten sie eine Reihe von Zustandsgleichungen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. Ob nach der Kollision ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch entstanden ist, lässt sich indes nicht entscheiden.

Gamma-Ray Bursts werden seit einiger Zeit auch als Hauptproduzenten von schweren Elemente mit Atommassen oberhalb von 130 gehandelt. Supernovae produzieren offenbar zu wenig von diesen Elementen, weil nicht ausreichend hohe Dichten und Temperaturen erreicht werden. Bei GW170817 zeigen Spektren im optischen und nahen Infrarot deutliche Abweichungen von einem thermischen Spektrum. Wegen der Expansionsgeschwindigkeit von etwa 20 % der Lichtgeschwindigkeit sind aber alle Linien sehr breit und eine Identifikation einzelner Elemente schwierig. Das beobachtete Spektrum ist aber konsistent mit der Theorie der Elementsynthese.

Diese Art der Gravitationswellen-Astronomie bietet zudem die Möglichkeit, die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums (Hubble-Konstante) auf eine neue und unabhängige Weise zu bestimmen, wie der ehemalige Direktor des AEI in Potsdam, Bernard Schutz, herausfand. Eine erste Analyse ist konsistent mit dem derzeit geltenden Wert.

Seit dem 25. August sind die Ligo-Detektoren abgeschaltet und werden technisch verbessert. Wenn sie in einem Jahr mit erhöhter Empfindlichkeit wieder anlaufen rechnen die Forscher mit mehreren Gravitationswellen-Nachweisen pro Woche.

Thomas Bührke

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