Gravitationswellen mit Atomwellen messen
Atominterferometer mit extremer Empfindlichkeit könnte Gravitationswellen tiefer Frequenz erlauschen.
Mit Atominterferometern lassen sich selbst extrem kleine Kräfte auf Atome bestimmen. Sie funktionieren nach denselben quantenmechanischen Prinzipien wie optische Interferometer, nur dass bei ihnen Materiewellen schwerer Teilchen aufgespalten werden und keine Lichtwellen. Anstelle des Strahlteilers dienen Laserpulse zur Auftrennung und Manipulation der Teilwellen. Diese Teilwellen werden zur Interferenz gebracht und reagieren extrem empfindlich auf äußere Kräfte, weshalb sie sich zu Hochpräzisionsmessungen eignen. Ein Team italienischer Wissenschaftler um Guglielmo Tino von der Universität Florenz hat nun die Möglichkeiten von Atominterferometern mit der außergewöhnlichen Takttreue von Strontium-Atomuhren kombiniert, die in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben.
Abb.: Aufbau als Gradiometer: Zwei Strontium-Atomwolken im Interferometer werden mit Hilfe zweier Laserpulse ausgemessen. (Bild: L. Hu et al.)
Solche Atominterferometer lassen sich zu unterschiedlichen Zwecken einsetzen. Entweder man nutzt ein einzelnes Interferometer als Gravimeter, um die Schwerkraft auf die Strontium-Atome zu bestimmen. Hat man zwei Interferometer simultan im Betrieb, lässt sich auch der Gradient des Gravitationsfeldes zwischen beiden Apparaturen messen; dies entspricht dem Einsatz als Gradiometer. Hierzu wählten die Wissenschaftler den optischen 1S0-3P0-Übergang von Strontium-88, der bei einer Wellenlänge von 698 Nanometern stattfindet. Eine Wolke von größenordnungsmäßig einer Million kalter Strontium-Atome wurde mit Hilfe eines optischen Gitters nach oben beschleunigt und befand sich danach im freien Fall. Dies entspricht der üblichen Konfiguration von Atominterferometern als „Atomfontäne“. Die Temperatur der Strontium-Atome lag lediglich knapp über ein Mikrokelvin. Dabei wurden die Atome durch eine Folge von unterschiedlich polarisierten Laserpulsen in Resonanz mit dem optischen Übergang angeregt, was zu einer Phasenverschiebung zwischen den beiden Armen des Interferometers führte.
Danach bremste ein weiterer Puls von unten die Atome im Grundzustand ab und sorgte so für eine Trennung von den Atomen im angeregten Zustand, die anschließend mit einem Pump-Puls zum Teil wieder in den Grundzustand befördert wurden. Den relativen Anteil an Atomen im angeregten und im Grundzustand ermittelten die Forscher dann über das Fluoreszenzlicht, das ein blaues Lichtgitter mit 461 Nanometern Wellenlänge hervorrief.
Das Besondere an diesem Atominterferometer: Für jedes einzelne Strontium-Atom ist die Absorption bzw. Emission eines einzelnen Photons für die Interferenz entscheidend. Dabei ist der gewählte optische Übergang bei Strontium-88 eigentlich verboten, kann aber durch ein externes Magnetfeld induziert und präzise gesteuert werden. Die hohe Lebensdauer dieses Übergangs macht man sich etwa bei ultragenauen Atomuhren zunutze. Die Forscher nutzten einen sehr linientreuen Laser mit einer Linienbreite von nur einem Hertz, um diesen optischen Übergang anzuregen. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, benötigten die Forscher starke Laserpulse von bis zu 350 Milliwatt, bei gleichzeitig extrem geringen Fluktuationen in der Weglänge zwischen dem „Uhrenlaser“ und den Atomen.
Wie sich zeigte, ließ sich anhand der physikalisch günstigen Kombination von sehr geringer Linienbreite des „Strontium-Uhren-Übergangs“ und der ohnehin hohen Präzision von Atominterferometern eine hohe Güte erzielen. Insbesondere in der Betriebsform als Gradiometer mit zwei Strontium-Atomwolken erlaubte der Aufbau eine deutliche Verringerung des Laser-Phasenrauschens, was zu hohem Kontrast bei den Messungen führte, und zwar über einen Zeitraum von zehn Millisekunden, der bislang nur von den Dimensionen des Apparats limitiert ist.
Besonders interessant an den neuartigen Atominterferometer ist aber ein möglicher Einsatz als Gravitationswellen-Detektor. Mit ihnen könnten Wellenlängen-Bereiche zugänglich werden, die sich mit herkömmlichen Detektoren wie LIGO und VIRGO nicht erschließen lassen und die sogar LISA nicht erreicht. Vor allem für tiefe und sehr tiefe Frequenzen könnten Atominterferometer bisherige Gravitationswellen-Detektoren ergänzen, die bislang auf der Technologie optischer Interferometer basieren. Das würde nicht nur ganz neue Einblicke in diesen neuen Zweig der Physik ermöglichen, sondern könnte auch zu vergleichsweise kostengünstigen Gravitationswellen-Detektoren führen.
Darüber hinaus erwarten die Forscher auch neue Tests im Grenzgebiet zwischen Quantenphysik und Allgemeiner Relativitätstheorie, wie etwa durch Rotverschiebung induzierte Dekohärenz oder die Suche nach leichter dunkler Materie. Für kommende ultrapräzise optische Atomuhren ist zudem die genaue Kenntnis des irdischen Schwerefeldes von Bedeutung. Auch hier könnten neuartige Atominterferometer ihren Beitrag leisten.
Dirk Eidemüller
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