Grenzen des Kristallwachstums
Mermin-Wagner-Fluktuationen fünfzig Jahre nach Aufstellung des Theorems erstmals experimentell nachgewiesen.
Ein Kristall besteht aus perfekt angeordneten Teilchen, aus einer lückenlos symmetrischen Atomstruktur – dies besagt die klassische Definition aus der Physik. Das sogenannte Mermin-
Abb.: Zweidimensionaler Kristall aus einer Monolage von Kolloidpartikeln. Wachsen die Abweichungen mit der Systemgröße über alle Grenzen, handelt es sich um Mermin-Wagner-
Anhand eines Modellsystems aus Kolloiden konnte Peter Keim nachweisen, dass in niedrigdimensionalen Systemen langsam, aber stetig anwachsende Fluktuationen in den Abständen der Teilchen auftreten: Die Teilchen scheren aus dem perfekten Raster aus, sind mal dichter beieinander, mal weiter auseinander. Eine Kristallbildung über lange Distanzen hinweg ist in niedrigdimensionalen Materialien somit nicht möglich.
„Das Mermin-Wagner-Theorem ist oft derart interpretiert worden, dass es in zweidimensionalen Systemen überhaupt keine Kristalle geben dürfe. Das ist falsch: Vielmehr wachsen in zweidimensionalen Systemen langwellige Dichtefluktuationen logarithmisch an und zerstören die Ordnung nur auf langen Distanzen“, schildert Peter Keim. In kleinen Systemen von nur wenigen hundert Teilchen kann eine Kristallbildung also sehr wohl eintreten. Je größer die Systeme aber werden, desto stärker wachsen die Unregelmäßigkeiten in den Abständen der Teilchen an, was eine Kristallbildung auf langen Distanzen schließlich verhindert. Peter Keim gelang es ferner, die Wachstumsrate dieser Fluktuationen zu vermessen: Es handelt sich dabei um ein logarithmisches Wachstum, die langsamste Form eines monotonen Anstiegs. „Die Störung der Ordnung hat aber nicht nur einen strukturellen Aspekt, sondern hinterlässt auch Spuren in der Dynamik der Teilchen“, führt Keim weiter aus.
Das Mermin-Wagner-Theorem gehört zu den Standardfragestellungen der statistischen Physik und wurde erst jüngst in Zusammenhang mit der Nobelpreisverleihung in Physik erneut diskutiert: Michael Kosterlitz, der Nobelpreisträger des Jahres 2016, hatte in einem Kommentar veröffentlicht, wie er zusammen mit David Thouless auf die Idee kam, topologische Phasenübergänge in niedrigdimensionalen Materialien zu untersuchen: Es sei der Widerspruch gewesen zwischen einerseits dem Mermin-
Das Konstanzer Projekt bündelt Daten aus vier Generationen von Doktorarbeiten. Der direkte Nachweis der Mermin-
U. Konstanz / DE