25.09.2009

Große Geräte - große Chancen

Neutronen- und Synchrotronstrahlungsquellen stehen für herausragende Wissenschaft und fördern auf besondere Weise die Karrieren von Nachwuchswissenschaftlern.


Physik Journal - Neutronen- und Synchrotronstrahlungsquellen stehen für herausragende Wissenschaft und fördern auf besondere Weise die Karrieren von Nachwuchswissenschaftlern.

Einer rasanten Entwicklung ist es zu verdanken, dass in den letzten Jahrzehnten immer intensivere und brillantere Synchrotronstrahlungsquellen in Europa und der Welt entstanden sind, die eine stetig wachsende Forschergemeinde nutzt. Das neueste Flaggschiff wird der europäische Röntgenlaser XFEL in Hamburg sein, dessen Bau nun begonnen hat. Die kohärenten und extrem kurzen Röntgenpulse des XFEL werden völlig neue Forschungsgebiete eröffnen.
 

Die Entwicklung der Neutronenquellen ist (aus verschiedenen Gründen) weniger rasant - die Forschung mit Neutronen indes nicht weniger spannend, im Gegenteil: Beide Sonden - Photonen und Neutronen - ergänzen sich oft vortrefflich. So liefern Neutronen ein detailliertes Bild der magnetischen Ordnung von komplexen magnetischen Materialien (z. B. Multiferroica), die für zukünftige Schlüsseltechnologien wie Spintronik und Supraleitung essenziell sein werden. Die Röntgenstreuung erlaubt es, die Anteile der verschiedenen Elemente an dieser Ordnung zu bestimmen. In der Katalyseforschung verfolgt man mit Neutronen den Wasserstoff (z. B. bei der Hydrierung von Olefinen), während die Photoelektronenspektroskopie dazu dient, die elektronische Struktur des Katalysators und des Substrats zu untersuchen. Allgemein gilt, dass molekulare Strukturen in der Röntgen- bzw. Neutronenstreuung unterschiedlich „sichtbar“ sind und deren Kombination ganz neue Möglichkeiten in der Strukturforschung eröffnet.

Abb.: Meinung von Anke Rita Kaysser-Pyzalla, wissenschaftliche Geschäftsführerin und Sprecherin der Geschäftsführung des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie GmbH (HZB), dem einzigen deutschen Forschungszentrum, das eine Neutronen- und eine Synchrotronstrahlungsquelle betreibt.

Für die Gemeinde der Neutronenforscher steigt nun ein neuer Stern auf. Seit wenigen Wochen steht, nach einem langwierigen Prozess, der Standort der Europäischen Spallationquelle (ESS) fest - Endlich! möchte man rufen. Dieses neue Flaggschiff der Neutronenforscher, eine Beschleuniger-basierte Neutronenquelle, soll in den nächsten zehn Jahren im schwedischen Lund entstehen. An ihrem Bau und Betrieb werden deutsche Forschungszentren maßgeblich beteiligt sein, allen voran die Helmholtz-Zentren aus Berlin, Geesthacht und Jülich mit ihrer hervorragenden Expertise in der Neutronennutzung und -instrumentierung.
 

Die ESS wird eine gepulste Neutronenquelle sein, mit einem um ein bis zwei Größenordnungen höheren Neutronenfluss als die besten derzeitigen Quellen. Analog zu der Photonenquelle XFEL wird die ESS also eine vollkommen andersartige Quelle, die neuartige Experimente und Forschungsfelder erschließt. Beispiele aus dem „Scientific Case“ sind die Aufklärung des Molekültransfers durch biologische Membranen oder das detaillierte Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung.
 

Die parallele Verbesserung von Neutronenoptiken und Detektoren an den bereits bestehenden Quellen ergänzt diese Entwicklung (1). Die neuen Perspektiven werden die Forschung mit Neutronen beflügeln und bieten jungen Forscherinnen und Forschern ein spannendes Betätigungsfeld.
 

Die Neutronen- und Synchrotronstrahlungsquellen stehen aber nicht nur für herausragende Forschungsergebnisse und Karrieren in der Wissenschaft. Sie tragen auch in erheblichem Maße zur akademischen Ausbildung bei. Neben der Betreuung von Masterarbeiten und Dissertationen bieten die Quellenbetreiber und ihre Nutzer jungen Forschern in gemeinsamen Sommerschulen zu spezifischen, in der Forschung mit Neutronen und Synchrotronstrahlung besonders interessanten Forschungsfeldern eine wissenschaftliche Weiterbildungs- und Spezialisierungsmöglichkeit.
 

In weiteren Modellen der Zusammenarbeit für die Ausbildung von Studierenden und Promovierenden erproben Universitäten und Quellenbetreiber derzeit gemeinsame Labore für die Materialherstellung und -charakterisierung und berufen „Gemeinsame Forschergruppen“.
 

Studierende und Promovierende profitieren bei der Großgeräteforschung insbesondere von dem internationalen Umfeld - ein Drittel der Nutzer kommt aus dem Ausland - und der Möglichkeit, durch andere Forscher vielfältige Disziplinen und Arbeitsstile kennen zu lernen. Quasi automatisch ergeben sich so Kontakte zu Universitäten und Forschungseinrichtungen im Ausland. Die Mitarbeit in größeren Projekten erlaubt es jungen Wissenschaftlern, Erfahrungen in der Teamarbeit und der Zusammenarbeit in einer großen Organisation zu sammeln. Damit erhöhen sie ihre Chancen auf einem internationalisierten Arbeitsmarkt.
 

Neutronen- und Synchrotronstrahlungsquellen sowie Röntgenlaser stehen also nicht nur für herausragende Wissenschaft, sondern fördern auf besondere Weise die Karriere von Studierenden und (jungen) Wissenschaftlern. Und mit den neuen Quellen XFEL und ESS am Horizont steht uns die goldene Epoche der Forschung an Großgeräten womöglich noch bevor.

Anke Rita Kaysser-Pyzalla


(1) In Deutschland existieren Neutronenquellen in Berlin (BER-II), Geesthacht (FRG-I) und München (FRM-II). Synchrotronstrahlungsquellen gibt es in Karlsruhe (ANKA), Berlin (BESSY II), Hamburg (DORIS III, PETRA III, FLASH II), Bonn (ELSA) und Dortmund (DELTA). Dazu kommen die europäischen Quellen ILL und ESRF in Grenoble.

Quelle: Physik Journal, Oktober 2009, S. 3

 AH 

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