Halbe Quantenwirbel mit topologischem Dreh
Neue Phase in supraflüssigem Helium-3 ermöglicht Quantenwirbel mit halbem Fluss-Quantum.
Wie nicht allein der diesjährige Nobelpreis beweist, stehen topologische Eigenschaften von Materialien gerade hoch im Kurs. Aufgrund topologischer Bedingungen geschützte oder ermöglichte Materiezustände sind auf der einen Seite von Bedeutung für die künftige Informationstechnologie, auf der anderen Seite ermöglichen sie auch Tests fundamentaler Quanteneigenschaften. Ein interessantes Phänomen hierbei sind Quantenwirbel mit halbzahligem Flussquantum in Supraflüssigkeiten. Quantenwirbel mit ganzzahligem Flussquantum sind schon lange bekannt: Seit den 1960er Jahren gab es hierzu Experimente an supraflüssigem Helium-4 und einige Jahre später dann auch an Helium-3.
Abb.: In supraflüssigem Helium-3 können unterschiedliche Arten von Quantenwirbeln entstehen: Links ein normaler, ganzzahliger Wirbel mit verschwindendem Spinstrom; rechts ein halbzahliger Wirbel. (Bild: APS / A. Stonebraker)
Bereits seit den 1970er Jahren gibt es allerdings auch die Vorhersage, in Helium-3 sollten halbzahlige Quantenwirbel auftreten können. Ein Team um Wissenschaftler der finnischen Universität Aalto ist diesen Wirbeln nun nachgegangen. Möglich wurde dies durch die Entdeckung einer neuen Phase in Helium-3. Denn normalerweise ist Helium-3 wenig geeignet für die Herausbildung solcher halbzahliger Quantenwirbel, weil sich Spin und Bahndrehimpuls nicht von selbst entsprechend ausrichten. Schließt man Helium-3 allerdings in einem passenden Material ein, ändert sich die Situation: So kann sich in Nafen, einem hochgradig porösen Aerogel mit langen, parallelen Strängen, unter den passenden Bedingungen eine neue, polare Phase von Helium-3 herausbilden.
Auf den ersten Blick würde man von Helium-3 gar keine Supraflüssigkeit erwarten. Denn in einer Supraflüssigkeit kondensieren die Atome in einem einzigen Quantenzustand – was nur möglich ist, wenn alle Atome wie etwa bei Helium-4 Bosonen sind. Helium-3 besteht nun aus Fermionen. Allerdings können sich, wie bei einem Supraleiter, Helium-3-Atome zu Cooper-Paaren zusammenschließen – nur dass sich hier Atome statt Elektronen paaren. Die Temperaturen hierfür liegen entsprechend niedrig: Helium-3 wird erst bei gut zwei Millikelvin supraflüssig, Helium-4 schon bei rund zwei Kelvin.
Dementsprechend mussten auch die Wissenschaftler um Samuli Autti ihre Probe in den Millikelvin-Bereich herunterkühlen. Hierzu gaben sie Helium-3 in Nafen. Die typische Porenbreite in diesem Aerogel betrug neun Nanometer, bei einem Porenabstand von rund 35 Nanometern. Die Probe ließen die Forscher dann mit bis zu 2,75 rad pro Sekunde rotieren. Außerdem legten sie ein Magnetfeld an und beobachteten dabei die magnetische Kernresonanz.
Abhängig von Parametern wie der Rotationsgeschwindigkeit, Temperatur und der Orientierung des magnetischen Feldes fanden die Forscher dabei ein Solitonen-Signal, das sich eindeutig halbzahligen Quantenwirbeln zuordnen ließ. Diese Vortizes beruhen dabei auf folgendem Effekt: Wenn sich in einer Supraflüssigkeit Wirbel herausbilden, müssen diese stets einen Drehimpuls in Einheiten des Planckschen Wirkungsquantums haben, genauer gesagt von h m, wobei m der Masse eines supraflüssigen Teilchens entspricht. Dies liegt daran, dass entlang eines geschlossenen Weges um einen Wirbel eine Quantisierungsbedingung herrscht, die vorschreibt, dass die Wellenfunktion ihren Wert nach einer Rundreise nicht ändert.
In Helium-3 mit seinen Cooper-Paaren ändert sich diese Bedingung zu h 2m, was aber noch keinem halbzahligen Quantenwirbel entspricht. Nun haben die Cooper-Paare in Helium-3 aber sowohl einen Bahndrehimpuls wie einen Kernspin, der sich aus den Komponenten der beiden Helium-3-Atome zusammensetzt. Während sich bei normalem Helium-3 der Bahndrehimpuls und die Kernspins nicht so einfach passend ausrichten, ist dies in der räumlich eng strukturierten polaren Phase durchaus der Fall.
Wenn sich nun ein Spinstrom ausbildete, konnte dieser sich mit dem Bahndrehimpuls die Quantisierungsbedingung „teilen”, so dass letztlich ein halbzahliger Quantenwirbel mit dem Flussquantum h 4m entstand, wie ihn die Wissenschaftler messen konnten. Dies ist – nach gut vierzig Jahren Suche – der erste Nachweis von halbzahligen Quantenwirbeln in supraflüssigem Helium-3. Aus anderen Materialien sind bereits solche halbzahligen Quantenwirbel bekannt, etwa aus Bose-Einstein-Kondensaten oder aus Spin-Triplett-Supraleitern.
Die Wissenschaftler untersuchten auch, was passiert, wenn man weniger dichtes Nafen mit weniger eng begrenzten Poren nimmt. Das Helium-3 ist dann nicht sauber eingeschlossen, es bildet sich eine polare Phase mit axialer Verzerrung heraus. Aber auch hier scheinen sich halbzahlige Quantenwirbel herausbilden zu können. Offenbar sind die topologischen Eigenschaften der polaren Phase stark genug, um gegen gewisse Verzerrungen Schutz zu bieten.
Dirk Eidemüller
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