Halbleiter erreichen die Quantenwelt
Quanteneffekte in Supraleitern könnten der Halbleiter-Technologie eine neue Wendung geben.
Die derzeitige elektronische Infrastruktur basiert vor allem auf Halbleitern. Zu den derzeit wichtigsten Herausforderungen in der Halbleiterelektronik gehören Verbesserungen, die die Bandbreite der Datenübertragung, die Energieeffizienz und die Informationssicherheit erhöhen würden. Quanteneffekte einzubeziehen könnte hierbei einen Durchbruch bewirken. Denkbar sind dabei vor allem Quanteneffekte, die in supraleitenden Materialien auftreten können. Dass sich in Supraleitern auch Quanteneffekt ausnutzen lassen, hat sich bereits in ersten Quantencomputern gezeigt.
Um mögliche Nachfolger für die heutige Halbleiterelektronik zu finden, untersuchen Forscher unter anderem Heterostrukturen, also Strukturen aus zwei verschiedenartigen Materialien. Genauer gesagt geht es um Schichtsysteme aus supraleitenden und halbleitenden Materialien. „Es ist schon länger bekannt, dass man dafür Materialien mit sehr ähnlichen Kristallstrukturen auswählen muss, damit es an der Kontaktfläche nicht zu Spannungen im Kristallgitter kommt“, erklärt John Wright, der an der Cornell University in den USA Heterostrukturen hergestellt hat.
Zwei in dieser Hinsicht passende Materialien sind der Supraleiter Niobnitrid sowie der Halbleiter Galliumnitrid. Letzterer spielt schon jetzt eine wichtige Rolle in der Halbleiterelektronik und ist daher bereits gut erforscht. Bislang war jedoch unklar, wie genau sich die Elektronen an der Kontaktfläche dieser beiden Materialien verhalten – und ob womöglich die Elektronen aus dem Halbleiter die Supraleitung stören und damit die Quanteneffekte auslöschen.
„Als ich auf die Forschung der Gruppe in Cornell stieß, wusste ich: Hier am PSI können wir mit unseren spektroskopischen Methoden an der ADRESS-Strahllinie die Antwort auf diese grundlegende Frage finden“, erklärt Vladimir Strocov, Forscher an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz des Paul-Scherrer-Instituts. So kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen. In ihren Experimenten fanden die Forscher heraus, dass die Elektronen in beiden Materialien „für sich“ bleiben: Es finden keine unerwünschten Wechselwirkungen statt, die die Quanteneffekte behindern könnten.
Die PSI-Forscher nutzten eine an der ADRESS-Strahllinie der SLS etablierte Methode: Winkelaufgelöste Photoelektronenspektroskopie mittels weicher Röntgenstrahlung – auf Englisch abgekürzt SX-ARPES. „Mit dieser Methode können wir die kollektive Bewegung der Elektronen im Material sichtbar machen“, erklärt Tianlun Yu vom PSI. Die SX-ARPES-Methode liefert eine Art Landkarte, deren räumliche Koordinaten in eine Richtung die Energie der Elektronen zeigt und in die andere Richtung so etwas wie ihre Geschwindigkeit; genauer gesagt ihren Impuls.
„In dieser Darstellung zeigen sich die elektronischen Zustände als helle Bänder“, erläutert Yu. Das entscheidende Forschungsergebnis: An der Materialgrenze zwischen Niobnitrid und Galliumnitrid sind die jeweiligen Bänder klar voneinander getrennt. Daran konnten die Forscher ablesen: Die Elektronen bleiben in ihrem ursprünglichen Material und interagieren auch nicht mit den Elektronen im Nachbarstoff.
„Die für uns wichtigste Schlussfolgerung ist, dass die Supraleitung im Niobnitrid ungestört bleibt, selbst wenn dieses Atom für Atom passend auf eine Schicht Galliumnitrid aufgesetzt wird“, sagt Vladimir Strocov vom PSI. „Damit konnten wir ein weiteres Puzzlestück liefern, das bestätigt: Dieses Schichtsystem könnte tatsächlich eine neue Form der Halbleiterelektronik hervorbringen, welche die Quanteneffekte in Supraleitern einbindet und nutzt.“
PSI / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
T. Yu et al.: Momentum-resolved electronic structure and band offsets in an epitaxial NbN/GaN superconductor/semiconductor heterojunction, Sci. Adv. 7, eabi5833 (2021); DOI: 10.1126/sciadv.abi5833 - Spektroskopie neuartiger Materialien, Paul-Scherrer-Institut, Villigen, Schweiz
- Materials Science and Engineering, Cornell University, Ithaca, USA