04.09.2018

Harte Brocken, intelligent geknackt

Produktionsfehler und drohende Havarien lassen sich buch­stäb­lich heraus­hören.

Kilian Wasmer von der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungs­anstalt EMPA kann die Erfolgs­geschichte selbst kaum glauben: Zusammen mit seinem Team hat er ein System zur Über­wachung komplexer Produk­tions­prozesse paten­tiert, das sich in unter­schied­lich­sten Situa­tionen ein­setzen lässt. Und das, obwohl es anfangs für die Idee nicht gut aussah. „Ich sagte unserem Partner, ich schätze die Erfolgs­aus­sichten auf etwa fünf Prozent. Aber wir werden es trotz­dem ver­suchen“, berichtet Wasmer von den Anfängen des Projekts.

Abb.: Additive Manufacturing erlaubt es, kleinste Metall­struk­turen mit komplexer Geo­metrie her­zu­stellen. (Bild: EMPA)

Bei dem Partner handelt es sich um die Firma Selfrag aus Kerzers bei Bern, die Hoch­volt­genera­toren her­stellt, die mittels Blitz­ent­ladung Beton zer­trümmern können. Der Vor­teil: im Gegen­satz zum Vor­schlag­hammer, der scharf­kantige Beton­brocken mit gespal­tenen Kiesel­steinen erzeugt, zer­legt die Blitz­ent­ladung den Beton in seine Grund­bau­steine Kiesel, Sand und Zement – wodurch er komplett wieder­ver­wertet werden kann. Doch bis­lang gab es keine geeig­nete Kontroll­möglich­keit, um zu bestimmen, ob der Blitz den Beton­klumpen oder den Gesteins­brocken auch getroffen hatte. Wasmer und sein Team sollten solch eine Methode ent­wickeln.

Die Forscher begannen, kleine Probekörper aus Plexiglas mit Hochvolt-Blitzen zu bombar­dieren. Die akus­tische Signa­tur eines jeden Blitzes wurde auf­ge­zeichnet und der dazu­gehö­rende Plexi­glas-Probe­körper im Mikro­skop auf Risse und Ober­flächen­schäden unter­sucht. Sergey Shevchik, Spezia­list für künst­liche Intel­li­genz im Team, probierte diverse Strategien aus, um die rich­tigen Muster aus den Daten zu erkennen. Schließ­lich gelang es, erfolg­reiche Blitz­schläge von Fehl­schüssen zu unter­scheiden und auch ober­fläch­liche Treffer zu erkennen.

Der Erfolg bei der Blitz-Analyse in Echtzeit brachte das Team auf die Idee, auch andere, extrem laute Prozesse zu analy­sieren: quietschende, ratternde Maschinen. Wenn Wälz­lager und andere beweg­liche Metall­teile unzu­reichend geölt sind, können sie fest­fressen. Das Problem ver­ur­sacht welt­weit beträcht­liche Schäden. Doch gute Vor­warn­systeme gab es bis­lang nicht: Tempe­ratur­sensoren, inte­griert in gefähr­dete Bau­teile, erkennen eine Tempe­ratur­erhö­hung leider erst, wenn das Fressen bereits begonnen hat und die Bau­teile zer­stört sind.

Wenn irgendetwas an einer Maschine quietscht, muss das nicht immer Grund für eine Total­revi­sion sein. Wer seine Produk­tions­maschinen häufiger zer­legt und wartet als not­wendig, ver­ur­sacht unnötige Kosten. Wer zu lange wartet, riskiert aber, dass ein beweg­liches Bau­teil fest­frisst und in der Folge weitere Teile der Maschine zer­stört. Es gilt also, aus der Fülle von Geräuschen das ent­schei­dende Quietschen heraus­zu­hören – und zwar recht­zeitig, um die Maschine noch stoppen zu können.

Wasmers Team ließ auf einem Tribometer eine Walze aus gehärtetem Stahl auf einer guss­eisernen Unter­lage schaben, zeich­nete die Geräusche auf, stoppte den Versuch in unter­schied­lichen Phasen und unter­suchte die Schäden unter dem Mikro­skop. Es gelang den Forschern, aus dem Geräusch­chaos, das die Stahl­walze auf dem Guss­eisen erzeugte, die ent­schei­denden Hin­weise heraus­zu­hören. Die Forscher erkennen das Fressen nun mit achtzi­gprozen­tiger Sicher­heit. Noch wich­tiger: Die ent­schei­dende Phase des Vor­fressens kann mit einer Sicher­heit von 65 Prozent erkannt werden, und zwar einige Minuten vor dem kata­stro­phalen Ende. Das würde genügen, um viele Industrie­maschinen recht­zeitig zu stoppen und vor schweren Schäden zu bewahren.

Das jüngste Projekt des Teams widmet sich dem „Additive Manu­factu­ring“, dem Her­stellen von metal­lischen Bau­teilen aus Metall­pulver, das von einem Laser­strahl auf­ge­schmolzen wird. Dieses neu­artige Her­stel­lungs­ver­fahren kommt ohne Guss­formen aus und eignet sich perfekt für geo­me­trisch komplexe Einzel­stücke. Doch bis heute ist es nötig, die Prozess­para­meter für eine bestimmte Legie­rung oder Anwen­dung genau­estens ein­zu­halten. Jede Abweichung kann zu Poren, Rissen oder Eigen­spannungen im Werk­stück führen und es unbrauch­bar machen.

Wasmer und seine Kollegen kombinierten akustische Sensoren mit maschi­nellem Lernen und analy­sierten die Mess­daten mit einem erst 2016 beschrie­benen Algo­rithmus. Mit dieser maschi­nellen Lern­methode gelang es ihnen, mit einer Treffer­quote von über 83 Prozent zu unter­scheiden, ob das Laser­schmelzen zu heiß oder zu kalt ablief und damit uner­wünschte Poren erzeugte. Die Forscher sind zuver­sicht­lich, dass sich die Methode nicht nur auf Laser-3-D-Drucker anwenden lässt. Auch andere AM-Ver­fahren wie Laser-Sintern, Stereo­litho­grafie oder Multi­jet-Printing laufen nach ähn­lichen physi­ka­lischen Prin­zi­pien ab. Die Methode zur Prozess- und Quali­täts­über­wachung in Echt­zeit könnte also bei all diesen Ver­fahren ein­setz­bar sein.

Schon jetzt hat ein Industriepartner vom Know-how der Gruppe profi­tiert: Die Firma Coherent Switzer­land mit Sitz in Belp stellt seit nun­mehr 44 Jahren Laser­quellen und Bearbei­tungs­köpfe für Laser­maschinen her. Dank der Arbeit des EMPA-Teams ver­fügt die Firma bald über ein Sensor­system, das den Laser­bearbei­tungs­prozess optisch über­wacht und doku­men­tiert. Die so gewonnenen Daten helfen, zukünf­tige Laser­prozesse zu opti­mieren und den hohen Quali­täts­standard zu halten, den etwa die Auto­mobil­industrie von ihren Zu­lieferern fordert.

EMPA / RK

Content Ad

Auf der Suche nach dem besten Signal-Rausch-Verhältnis?

Auf der Suche nach dem besten Signal-Rausch-Verhältnis?

Bringen Sie Ihre Messungen auf ein neues Level - wie weltweit bereits mehr als 1000 Labore vor Ihnen. Der MFLI Lock-In Verstärker setzt Maßstäbe in der Signalanalyse und in einem herausragenden Signal-Rausch-Verhältnis.

Anbieter des Monats

SmarAct GmbH

SmarAct GmbH

Mit der Entwicklung und Produktion von marktführenden Lösungen im Bereich hochpräziser Positioniertechnik, Automatisierungslösungen und Metrologie begleitet die SmarAct Group ihre Kunden zuverlässig bei der Realisierung ihrer Ziele.

Meist gelesen

Themen