27.09.2018

Heimat fern im All

Mögliche Ursprungssysteme von Oumuamua identifiziert.

Die Entdeckung des inter­stellaren Objekts, das heute als "Oumuamua" bekannt ist, im Oktober 2017 war eine Premiere: Zum ersten Mal konnten Astronomen ein inter­stellares Objekt beobachten, das unser Sonnen­system besucht. Leider wurde der außer­gewöhnliche Besucher erst entdeckt, als das Objekt sich anschickte, unsere Sonnen­system wieder zu verlassen, aber die Astronomen konnten immerhin noch boden­gebundene und Weltraum­teleskope verwenden, um die Bewegung des Objekts zu vermessen.

Abb.: Künstlerische Darstellung von Oumuamua. Das Objekt sieht entweder so lang­gestreckt aus wie in diesem Bild oder aber ist eine Art flacher Pfann­kuchen. (Bild: ESO / M. Kornmesser)

Jetzt ist es einer Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Coryn Bailer-Jones gelungen, die Bahn von Oumuamua über Millionen Jahre zurück­zuverfolgen und vier Kandidaten für das Ursprungs­system des Objekts zu identifizieren. Frühere Studien hatten sich an ähnlichen Rekonstruktionen der Herkunft von Oumuamua versucht, aber keine plausiblen Kandidaten gefunden.

Den früheren Studien fehlte insbesondere eine entscheidende Information: Im Juni 2018 hatte eine Gruppe unter der Leitung des ESA-Astronomen Marco Micheli gezeigt, dass die Umlauf­bahn von Oumuamua im Sonnen­system nicht die eines Objekts im freien Fall ist, d.h. eines Objekts, das sich aus­schließlich unter dem Einfluss der Schwer­kraft bewegt. Statt­dessen trat eine zusätzliche Beschleunigung auf, während sich das Objekt in der Nähe der Sonne befand. Oumuamua dürfte in ent­scheidender Hinsicht einem Kometen ähneln: das Objekt besteht zum Teil aus Eis, das bei aus­reichender Erwärmung durch Sonnen­licht Gas produziert. Das aus­strömende Gas wiederum erteilt Oumuamua eine kleine Beschleunigung, ähnlich wie ein sehr schwacher Raketen­antrieb.

Erst wenn man diesen Effekt angemessen berück­sichtigt, kann man die Bahn des Objekts zuverlässig zurück­verfolgen. Als ersten Schritt kann man dann rekonstruieren, aus welcher Richtung und mit welcher Geschwindig­keit das Objekt überhaupt in unser Sonnen­system eingetreten ist. Solch eine realistische Rekonstruktion ist Ausgangs­punkt der neuen Studie von Bailer-Jones und seinen Kollegen.

Um die Bahn von Oumuamua zurück­zuverfolgen, sind noch weitere Informationen nötig: Was ist mit den Sternen, denen es auf dem Weg begegnet ist, und ihrer kombinierten Schwer­kraft, die die Flug­bahn des Objekts beeinflusst haben wird? Für diesen Teil ihrer Rekonstruktion nutzte Bailer-Jones die Daten, welche die ESA-Mission Gaia im April dieses Jahres veröffentlicht hatte. Mit diesen Daten ist Bailer-Jones sehr vertraut: Er leitet eine jener Gruppen, die sich um die Aufbereitung der Gaia-Daten für die wissen­schaftliche Gemein­schaft kümmern.

Der Datensatz Gaia Data Release 2 (DR2) enthält präzise Informationen über Positionen, Bewegungen am Himmel und Parallaxe für 1,3 Milliarden Sterne. Für sieben Millionen der Sterne stellt DR2 zusätzlich Informationen über die Radial­geschwindigkeit des Sterns zur Verfügung, also über denjenigen Anteil seiner Bewegung, die den Stern direkt auf uns zu beziehungsweise von uns weg führt. Mit Hilfe der astronomischen Daten­bank Simbad nahmen die Astronomen noch weitere 220.000 Sterne in ihre Studie auf, deren Radial­geschwindigkeit in jener Daten­bank enthalten ist.

Als nächstes betrachteten die Astronomen ein vereinfachtes Szenario, das davon ausgeht, dass sich sowohl Oumuamua als auch alle Sterne in den letzten Millionen Jahren entlang gerader Linien und mit konstanter Geschwindig­keit bewegt haben. Aus diesem Szenario wählten sie rund 4500 Sterne aus, die viel­versprechende Kandidaten für eine engere Begegnung mit Oumuamua waren. Für diese Sterne wurde dann eine genauere Rechnung durch­geführt und zurück­verfolgt, wie sich Oumuamua und die betreffenden Sterne im Gravitations­potenzial unserer Milch­straßen­galaxie („geglättetes Potenzial“) bewegt haben.

Verschiedene Studien hatten bereits gezeigt, dass Oumuamua vermutlich während der Phase der Planeten­entstehung aus dem System seines Heimat­sterns aus­gestoßen wurde. Zu jener Zeit gab es zahlreiche den Stern umkreisende kleine Objekte (Planetesimale), von denen eines durch die Schwer­kraft eines der Riesen­planten des Systems heraus­geschleudert worden sein dürfte, um anschließend solo durch das Welt­all zu treiben.

Der Heimatstern des Objekts sollte sich anhand von zwei Eigen­schaften identifizieren lassen. Zum einen sollte uns die Rück­verfolgung der Umlauf­bahn von Oumuamua direkt zurück zum Heimat­stern führen, oder zumindest sehr nahe an ihm vorbei. Darüber hinaus sollte die Relativ­geschwindigkeit von Oumuamua und seinem Heimat­stern zu diesem Zeit­punkt vergleichs­weise gering sein; Objekte werden typischer­weise nicht mit hoher Geschwindig­keit aus einem Planeten­system heraus­katapultiert.

Bailer-Jones und seine Kollegen fanden vier Sterne, welche diese Kriterien näherungs­weise erfüllen. Bei allen vieren handelt es sich um Zwerg­sterne. Derjenige, der Oumuamua vor etwas mehr als einer Million Jahren am nächsten kam, ist der rötliche Zwerg­stern HIP 3757. Oumuamuas Bahn verläuft innerhalb von knapp zwei Licht­jahren an diesem Stern vorbei – angesichts der Unsicherheiten der Bahn­bestimmung durchaus damit vereinbar, dass Oumuamua aus dem betreffenden Planeten­system stammt (falls jener Stern denn eines besitzt). Die vergleichs­weise große Relativ­geschwindigkeit (rund 25 Kilometer pro Sekunde) macht es jedoch unwahrscheinlich, dass dies die Heimat von Oumuamua ist.

An dem nächsten Kandidaten, HD 292249, einem der Sonne ähnlichen Stern, wäre Oumuamua vor 3,8 Millionen Jahren etwas weniger dicht vorbei­geflogen, allerdings mit geringerer Relativ­geschwindigkeit (zehn Kilometer pro Sekunde). Die beiden weiteren Kandidaten liegen dort, wo sich Oumuamua der Bahn­rekonstruktion nach vor 1,1 bzw. 6,3 Millionen Jahren befunden hätte – mit ähnlichen Relativ­geschwindigkeiten und Minimal-Distanzen. Diese letzten beiden Sterne finden sich zwar in einigen Durch­musterungen, aber es ist bislang wenig über sie bekannt.

Damit sind vier plausible Kandidaten gefunden. Der endgültige Nachweis, wo Oumuamua herkommt, steht aber noch aus. Um Oumuamua mit der beobachteten Geschwindig­keit aus­zustoßen, müsste das betreffende Planeten­system einen Riesen­planeten enthalten, der Oumuamua in die Tiefen des Welt­raums schleudern konnte. Allerdings sind die betreffenden Sterne noch nicht hinreichend erforscht, als das man wüsste, welche Planeten sie umkreisen. Das könnte sich in Zukunft durchaus ändern.

Die Studie ist auch durch die Anzahl von Sternen mit Radial­geschwindigkeiten in der Gaia-Daten­veröffentlichung 2 begrenzt. Gaias dritte Daten­veröffentlichung DR3, die für 2021 geplant ist, soll Radial­geschwindigkeiten für zehn Mal mehr Sterne enthalten. Das könnte zur Identifizierung weiterer Kandidaten führen. Die Suche nach Oumuamuas Zuhause wird daher noch weitergehen. Ganz bis nach Hause haben die Astronomen unseren inter­stellaren Besucher noch nicht verfolgen können.

MPIA / DE

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