23.07.2019

Herzklappen aus dem 3D-Drucker

Neues Verfahren erlaubt individuelle Anpassung an den Patienten.

Das Herz besteht aus mehreren Kammern und Vorhöfen, und jede davon ist mit einer Herzklappe ausgestattet. Diese wirken wie Ventile und sorgen dafür, dass Blut nur in eine Richtung fließt. Sind Herzklappen undicht, verengt oder erweitert oder gar eingerissen, läuft das Blut aber in die Kammern oder die Vorhöfe des Herzens zurück. Dies belastet dieses Organ stark. Im schlimmsten Fall kommt es zu Herzrhythmus­störungen oder Herzversagen. Abhilfe schaffen je nach Schwere des Klappen­fehlers künstliche Herzklappen. In den kommenden Jahrzehnten dürfte der Bedarf auf rund 850.000 Patienten im Jahr 2050 steigen. Forscher der ETH Zürich und der süd­afrikanischen Firma SAT haben dazu eine künstliche, maß­geschneiderte Herzklappe aus 3D-gedrucktem Silikon entwickelt. 

Abb.: Gedruckte Herz­klappen: Die Klappen­flügel (li.) werden gezielt mit...
Abb.: Gedruckte Herz­klappen: Die Klappen­flügel (li.) werden gezielt mit Silikonfäden verstärkt. Das gesamte Im­plantat umfasst zudem auch die Aorten­wurzel. (Bild: F. Coulter, ETHZ)

Das neue Modell hat gegenüber bestehenden mehrere Vorteile: Die Silikon-Herzklappe ist maßge­schneidert, weil die Forscher zuerst die indi­viduelle Form und Größe der undichten Herzklappe mittels Computer­tomographie oder Magnet­resonanz­tomografie bestimmen. Dadurch lässt sich eine Herzklappe drucken, die exakt auf einen Patienten passt. Aus den Bildern erstellen die Forscher ein digitales Gittermodell und eine Computer­simulation, mit der sie die auf das Implantat wirkenden Kräfte und Verformungen im Voraus berechnen können. Auch ist das Material für den Körper verträglich und der Blutfluss durch die Silikon­herzklappe ist genauso gut wie bei herkömmlichen Ersatz­klappen.

Bisher setzten Herzchirurgen Modelle ein, die entweder überwiegend aus Metall­teilen oder aus tierischem Gewebe von Kühen bestehen. Damit solche Implantate verträglich sind, müssen Patienten das Immunsystem unter­drückende oder blut­verdünnende Medikamente einnehmen, was erhebliche unerwünschte Neben­wirkungen hat. Zudem ist die Geometrie bisheriger Modelle starr. Dies erschwert es Chirurgen, künstliche Herzklappen abgedichtet an den Blutkreislauf respektive ans Herz anzuschließen. „Heutige Ersatz­klappen sind rund, die Aorta aber ist es nicht. Sie hat bei jedem Menschen eine andere Form“, sagt Manuel Schaffner, ehemaliger Doktorand von André Studart, der selbst an dreidimensionalen photonischen Kristalle geforscht hat. Nicht zuletzt sei die Herstellung von künstlichen Herzklappen teuer und zeitaufwändig. Mit der neuartigen Silikon-Herzklappe können die Forscher solche Probleme umgehen. Um eine derartige Klappe mit einem 3D-Drucker herzustellen, benötigen die Material­forscher nur rund eineinhalb Stunden. Die Produktion mit 3D-Druckern könnte zudem beschleunigt werden, das heißt: eine Batterie von Druckern könnte täglich Dutzende bis Hunderte von Klappen herstellen.

Zuerst erstellen die Wissen­schaftler einen Negativ-Abdruck der Klappe. Auf diesen Abdruck von der Form einer dreizackigen Krone wird Silikon-Tinte gesprayt, was die dünnen Klappen­flügel ergibt. Auf deren Oberfläche druckt in einem weiteren Schritt ein Extrusions­drucker mit zäher Silikonpaste bestimmte Muster aus dünnen Fäden. Diese entsprechen Kollagen­fasern, die natürliche Herzklappen durchziehen. Die Silikonfäden verstärken die Klappen­flügel und verlängern die Lebensdauer der Ersatzklappe. Die mit der Herzklappe verbundene Blutgefäß­wurzel wird mit dem gleichen Verfahren gedruckt und am Ende mit einem netzförmigen Stent überzogen, der für das Anschließen der Silikon-Ersatz­klappe an die echte Blutbahn nötig ist. 

Erste Tests ergaben vielver­sprechende Ergebnisse zur Funktion der Herzklappe. Das Ziel der Material­forscher ist, die Lebensdauer solcher Ersatzklappen auf zehn bis fünfzehn Jahre zu steigern. So lange halten heutige Modelle im Patienten, ehe sie ausgetauscht werden müssen. „Schön wäre es, wenn wir eines Tages Herzklappen herstellen, die ein Leben lang halten und allenfalls sogar mit dem Patienten mitwachsen, sodass sie auch schon bei jungen Leuten eingesetzt werden könnten“, sagt Schaffner. Bis ihre künstliche Herzklappe klinisch angewendet werden kann, dauert es jedoch mindestens zehn Jahre. Dazu müssen die Produkte zahlreiche klinische Phasen erfolgreich durchlaufen.

Fergal Coulter entwickelt die Silikon­herzklappe derzeit weiter. „Solche Versuche sind nötig, damit die Technik überhaupt eine Chance hat für einen Einsatz beim Menschen“, betont er. Coulter experi­mentiert zudem mit neuen Materialien, um die Lebensdauer der Herzklappen zu verlängern. Um die Herzklappe zur Marktreife führen zu können, bedarf es allerdings eines Industrie­partners oder allenfalls eines Spin-Offs. „Die gesamte Kette vom ersten Experiment bis zur ersten Anwendung im Körper eines Menschen können wir als Forschungs­gruppe leider nicht anbieten“, sagt Schaffner.

ETHZ / JOL

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