14.12.2020

Hierarchische Zwillinge

Mehrfach verschachtelte Zwillingsstrukturen in Martensiten lassen sich mit einem einzigen Parameter beschreiben.

Zwillinge gleichen einander und werden in Werkstoffen meist durch eine Spiegelung an einer Zwillings­grenze beschrieben. Kristalline Zwillinge treten in vielen neuartigen Funktions­werkstoffen auf. Dass zum Beispiel thermomagnetische Bauelemente Abwärme in Elektrizität umwandeln oder magneto­kalorische Bauelemente Systeme kühlen können, geht in vielen Werkstoffen auf die Bildung von Kristall­zwillingen zurück. Auch für das Härten martensitischer Stähle sowie für den Form­gedächtnis­effekt ist die Zwillings­bildung entscheidend. Das zugrunde­liegende Prinzip der Verzwilligung ist daher auch gut erforscht und gehört zum Grundwissen der Werkstoff­kunde. 
 

Abb.: Raster­elektronen­mikroskopische Aufnahmen der Oberfläche...
Abb.: Raster­elektronen­mikroskopische Aufnahmen der Oberfläche martensitischer Ni-Mn-Ga-Schichten. Dies erinnert an Bilder von Mondrian. (Bild: S. Kauffmann-Weiß, IFW Dresden)

Doch je genauer man hinsieht, desto mehr Fragen stellen sich. So bilden sich die Zwillinge im Material nicht zufällig und homogen, sondern formen eine ineinander verschachtelte Struktur. Winzige Zwillinge im atomaren Maßstab bilden Bereiche, die einen übergeordneten Zwilling formen, der wiederum Teil eines noch größeren Zwillings ist. Diese hierarchische „Zwilling-in-Zwilling-Struktur“ enthält Zwillings­grenzen auf allen Längen­skalen: vom atomaren- bis in den makroskopischen Bereich. 

Obwohl Zwillingsbildung auf jeder einzelnen Längenskala beobachtet wurde, gab es bisher noch keinen umfassenden Ansatz, warum und wie die Zwillinge ineinander geschachtelt sind. Wissenschaftler des IFW Dresden haben sich zusammen mit Kollegen in Prag der Aufgabe gestellt, das Rätsel der hierarchischen Zwillinge zu lösen. Nun berichten sie, wie die Entstehung von hierarchischen Zwillings­strukturen über alle Längen­skalen hinweg erklärt werden kann. „Es war wie ein Puzzle“, erzählt einer der Koautoren. „Man spielt erst mit atomaren Bauklötzen und stellt dann fest, dass man aus diesen einen größeren Baustein zusammensetzen kann. Dann haben wir weiter gepuzzelt und es ließ sich auch der nächstgrößere Baustein aus den Kleineren zusammensetzen. Das Ganze haben wir dann wiederholt, bis nach fünf Schritten alles zusammen­gepasst hat.“ 

Hat man das Bauprinzip erst einmal verstanden, so sieht man auf Mikroskopieaufnahmen nicht mehr nur viele kreuz und quer verlaufende Linien, sondern kann diesen Linien unterschiedliche Zwillings­grenzen zuordnen. „Durch das ineinander geschachtelte Puzzle erhält man Bilder, die sehr an den holländischen Künstler Mondrian erinnern. Um diese zu malen, braucht die Natur nur einen einzigen Parameter, die Gitter­konstante der atomaren Bauklötze. Der Rest ergibt sich durch die wiederholte Verzwilligung von selbst.“ Für die Wissenschaft sind jedoch nicht die schönen Bilder der exemplarisch untersuchten Ni-Mn-Ga-Legierung wichtig, sondern dass man das erste Mal das Gefüge der anfangs beschriebenen Funktions­werkstoffe von der atomaren bis zur makroskopischen Längenskala mit einem einzigen Parameter beschreiben kann. Damit wird es möglich, diese Werkstoffe in der Zukunft noch gezielter zu beeinflussen, um deren funktionelle Eigenschaften weiter zu verbessern. 

IFW / DE

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