21.04.2004

Hochdichtes Wasser

Ultradünne Wasserschichten zwischen Eis und Siliziumdioxid zeigen unerwartete Eigenschaften.

entdeckt

Ultradünne Wasserschichten zwischen Eis und Siliziumdioxid zeigen unerwartete Eigenschaften.

Stuttgart - Jeder weiß es: Eis schmilzt bei null Grad Celsius. Auf diese Weise wurde sogar der Nullpunkt der Celsius-Skala festgelegt. Nun aber haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart überraschend beobachtet, dass Eis an der Grenzfläche zu einem Mineral wie Siliziumdioxid schon bei minus 17 Grad Celsius zu schmelzen beginnt – also weit unterhalb des Gefrierpunktes.

Bei der genauen Analyse der nur wenige Nanometer dünnen Schicht aus Wasser stellten die Forscher fest, dass dieses Wasser mit einer Dichte von etwa 1,2 Gramm pro Kubikzentimeter 20 Prozent kompakter ist als normales Wasser. Die erstmalige Entdeckung hochdichten Wassers gelang mit Hilfe hochbrillanter Röntgenstrahlung, doch was genau zu seiner Entstehung führt, ist noch unbekannt. Da die Erdkruste hauptsächlich aus Siliziumdioxid besteht, könnte diese Entdeckung wichtig sein für das Verständnis von Gletscherbewegungen oder die Stabilität von Permafrostböden, aber auch für andere Phänomene, wie die Vereisung von Flugzeugtragflächen oder die Bewegung von Fahrzeugen auf gefrorener Fahrbahn.

Abb. 1: Schmelzen von Eis an einer Grenzfläche (links). In der Natur kann dieses Phänomen z. B. in Permafrostböden eine Rolle spielen (rechts). (Quelle: MPI für Metallforschung)

Trotz seiner einfachen chemischen Formel ist die Struktur von Wasser nach wie vor ungeklärt. Auch weist Wasser eine Reihe "nicht-normaler" bzw. schwer erklärbarer Eigenschaften auf. So hat es seine höchste Dichte bei 4 Grad Celsius. Gefriert es zu Eis, verringert sich seine Dichte, es dehnt sich aus und lässt Rohrleitungen oder Glasflaschen platzen. Man geht deshalb heute davon aus, dass es zwei Formen von Wasser gibt – hochdichtes und niedrigdichtes Wasser. In normalem Wasser ordnen sich die Moleküle ständig um und bilden dabei jeweils kleine Bereiche dieser beiden Wasserformen.

Über Experimente an Grenzflächen haben die Stuttgarter Max-Planck-Forscher nun versucht, den rätselhaften Eigenschaften von Eis und Wasser auf die Spur zu kommen. Um Experimente mit Eis vorbereiten und durchführen zu können, arbeiten die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Metallforschung in einem begehbaren Kühlraum bei –20 Grad Celsius. Sie verwenden perfekte, an der ETH Zürich aus hochreinem Wasser gezüchtete Eis-Einkristalle und präparieren Grenzflächen zwischen Eis und Siliziumdioxid. Siliziumdioxid ist ein Hauptbestandteil der Erdkruste und dient als Modell für Eis-Mineral-Grenzflächen in der Natur.

Abb. 2: Illustration der Grenzfläche zwischen Eis und Siliziumdioxid auf atomarer Ebene. Schon bei –1 Grad Celsius ist eine dünne Schicht von kristallinem Eis im Kontakt mit Siliziumdioxid geschmolzen. (Quelle: MPI für Metallforschung)

Die eigentlichen Mess-Experimente wurden an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble durchgeführt. Für die Untersuchung der Grenzflächen haben die Wissenschaftler eigens eine neue Röntgenbeugungsmethode entwickelt. Sie basiert auf den besonderen Eigenschaften von hochenergetischen Röntgenstrahlen, wie sie nur von Synchrotronstrahlungsquellen produziert werden. Dabei kommen auch neuartige Brechungslinsen zum Einsatz, mit denen sich die Röntgenstrahlen auf wenige Mikrometer bündeln lassen.

Abb. 3: Schematische Darstellung des experimentellen Aufbaus. Hochenergetische Röntgenstrahlen von einer Synchrotronstrahlungsquelle werden mittels Brechungslinsen auf eine Probe fokussiert. Die an der Grenzfläche reflektierten Röntgenstrahlen werden winkelabhängig detektiert und liefern Informationen über die Struktur der Grenzfläche. Eine speziell entwickelte Probenkammer erlaubt eine präzise Temperaturregelung. (Quelle: MPI für Metallforschung)

Die erstmalige experimentelle Beobachtung von hochdichtem Wasser an der Grenzfläche zwischen Eis und Siliziumdioxid belegt nun, dass es tatsächlich – unter speziellen Bedingungen – hochdichtes Wasser gibt. Wegen der erhöhten Dichte hat das Wasser auch eine andere Struktur, doch diese kann erst in weiteren Experimenten geklärt werden.

Aufgrund der anderen Struktur könnten sich auch alle anderen Eigenschaften des hochdichten von normalem Wasser unterscheiden. So würde zum Beispiel eine niedrigere Viskosität – wegen der geringeren Reibung – die Gletscherbewegung fördern. Bei den chemischen Eigenschaften geht es unter anderem um die Löslichkeit von Verunreinigungen wie zum Beispiel Salze. Ist die Löslichkeit für solche Stoffe hoch, könnten sich diese in der flüssigen Dünnschicht anreichern und den Schmelzprozess noch verstärken. Auch stellt sich die Frage, bei welchen Materialien das Grenzflächenschmelzen von Eis überhaupt auftritt: Weitere Tests könnten also auch zeigen, ob man z. B. Tragflächen durch spezielle Beschichtungen unempfindlicher gegen Vereisung machen könnte.

Quelle: MPG

Weitere Infos:

  • Originalveröffentlichung: 
    Simon Engemann, Harald Reichert, Helmut Dosch, Jörg Bilgram, Veijo Honkimäki, Anatoly Snigirev, Interfacial melting of ice in contact with SiO2, Physical Review Letters, 2004 (to appear)   
  • Max-Planck-Institut für Metallforschung, Stuttgart:
    http://www.mf.mpg.de   
  • Max Planck Gesellschaft:
    http://www.mpg.de   
  • Spezielle Dokumente und Informationen zum Thema Eisschmelzen an Grenzflächen finden Sie ganz einfach mit der Findemaschine, z. B. in der Kategorie Festkörperphysik.

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