11.01.2021

Hochfeste dünne Gläser

Thermisches Vorspannen ist mit einem flüssigen Kühlmedium auch für dünne Gläser nutzbar.

Um die Festigkeit von Glas zu erhöhen und somit eine größere Halt­barkeit zu garantieren, spielt in der Industrie seit Jahrzehnten der Prozess des thermischen Vorspannens eine große Rolle. Mit seiner Hilfe werden herkömmliche Glasscheiben in einfacher und hoch­effizienter Weise verfestigt, wodurch zahlreiche heute selbst­verständliche Glasprodukte überhaupt erst möglich wurden: thermisch vorgespannte Gläser finden sich als Abdeckgläser auf Solarmodulen, Sicherheits­verscheibungen oder auch in Dusch­trennwänden. So ermöglicht das etablierte Verfahren beispielsweise die Fertigung von Automobil­scheiben, die bei einem Unfall oder anderen Beschädigungen kontrolliert in kleine Krümel zerfallen und so am Unfall beteiligte Personen vor Verletzungen durch scharf­kantige Bruchstücke schützen sollen.

Abb.: Materialforscher der Universität Jena wollen ein Verfahren zur...
Abb.: Materialforscher der Universität Jena wollen ein Verfahren zur thermischen Härtung von sehr dünnem Glas in die Praxis überführen. (Bild: J. Meyer, U. Jena)

Allerdings unterliegt das thermische Vorspannen einer ganzen Reihe techno­logischer Grenzen. Insbesondere ist es nur für Glasprodukte mit einer gewissen Mindest­wandstärke anwendbar. Dies sind bei Glasscheiben oder Substraten etwa zwei Millimeter. Für eine Vielzahl moderner Glasprodukte spielen heute jedoch oft viel geringere Glasdicken eine wichtige Rolle. Diese ermöglichen nicht nur eine deutliche Material- und Gewichts­ersparnis, sondern sind zudem bieg- oder sogar rollbar. Material­wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben hierfür nun ein Verfahren weiter­entwickelt, das die Limitierung des thermischen Vorspannens auf Glasdicken im Millimeter­bereich beseitigen könnte und den Prozess zudem auf ganz neue Glastypen anwendbar macht. Der Euro­päische Forschungsrat unterstützt den Jenaer Glasexperten Lothar Wondraczek nun bei der weiteren Entwicklung des Prozesses.

„Um das Glas thermisch vorzuspannen, wird es in der Regel zunächst auf über 600 Grad Celsius erhitzt und dann abrupt – meist durch das Anblasen kalter Luft – abgekühlt“, erklärt Wondraczek. „Das erzeugt einen deutlichen Unterschied in der Abkühl­geschwindigkeit zwischen der Oberfläche und dem Inneren des Körpers.“ Dieser Gradient führt in der Folge zu einer bleibenden Oberflächen­druckspannung, der eine Zugspannung im Inneren entgegen­gesetzt ist. Das Zusammenspiel beider Spannungen führt zu den speziellen Eigenschaften thermisch vorgespannter Gläser. Entscheidend für den Prozess ist, wie schnell die Wärme dem erhitzten Glas über seine Oberfläche entzogen werden kann. Dies wiederum hängt von zwei Faktoren ab: zum einen von der Wärmeleit­fähigkeit des Glases, zum anderen vom Wärmeübergangs­koeffizienten. Während erstere unmittelbar an die chemische Zusammen­setzung des Materials gekoppelt ist und nicht verändert werden kann, ohne sich vom herkömmlichen Glas zu entfernen, lässt sich die Geschwindigkeit, mit der das Glas abkühlt, durchaus beeinflussen.

Genau auf diese Größe konzen­trierten sich die Jenaer Material­wissenschaftler, um das thermische Vorspannen auch für dünne Gläser anwendbar zu machen. „Kühlt man Glas, das eine Dicke von weniger als zwei Millimeter aufweist, mit Luft, so wird die Wärme im Inneren genauso schnell verteilt wie abgeführt – es entsteht also kein Gradient und somit keine Spannung“, erklärt Wondraczek die Heraus­forderung. „Deshalb haben wir einen Vorspann­prozess entwickelt, bei dem das Glas gerade nicht an Luft, sondern in einem flüssigen Kühlmedium vorgespannt wird.“ Eine Heraus­forderung dabei war es, geeignete Kühlmittel zu finden, die bereits nahe der Raum­temperatur flüssig sind, jedoch selbst bei Temperaturen deutlich über 800 Grad Celsius noch nicht verdampfen.

Auf diese Weise lässt sich das thermische Vorspannen auch auf besonders dünne und auf unkonven­tionell geformte Gläser erweitern. „In Vorstudien haben wir zeigen können, dass das Verfahren auch in der Breite anwendbar ist“, erklärt der Glas­spezialist. „Deshalb wollen wir es nun in die Praxis überführen.“ Zum einen könnten so aufwendigere, teurere und umwelt­schädlichere Methoden zur Verbesserung der Festigkeit dünnwandiger Gläser abgelöst werden. Zum anderen ließe sich der Einsatz von Glas als Material erweitern, beispiels­weise in der Elektro­technik oder auch bei einfachen Alltags­gegenständen wie Spezial­verpackungen, medi­zinischen Injektoren oder Trinkhalmen.

U. Jena / JOL

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