31.01.2020

Hochgeladene Ionen quantenlogisch gebändigt

Quantenlogik-Spektroskopie an Ionenpaar öffnet neue Möglichkeiten zum Studium extremer Materie.

Hochgeladene Ionen sind – obwohl exotisch klingend – eine sehr natürliche Form der sichtbaren Materie. Beispielsweise ist alle Materie unserer Sonne und auch aller anderer Sterne hoch ionisiert. Hochgeladene Ionen sind in vielerlei Hinsicht allerdings extremer als neutrale Atome oder einfach geladene Ionen. Durch ihre hohe positive Ladung sind die äußeren Elektronen der Atomhülle stärker am Atomkern gebunden. Dadurch reagieren sie weniger empfindlich auf Störungen durch äußere elektromagnetische Felder. Hingegen sind Effekte der speziellen Relativitäts­theorie und Quanten­elektro­dynamik sowie auch die Wechselwirkung mit dem Atomkern gegenüber neutralen und einfach geladenen Atomen erheblich verstärkt. Hochgeladene Ionen stellen somit ideale Systeme für genaue Atomuhren dar, mit denen sich fundamentale Physik testen lässt. Hierbei dienen in der Regel die äußeren Elektronen als empfindliche Quantensensoren, etwa für bislang unbekannte Kräfte und Felder. Darüber hinaus gibt es eine ungeheure Vielfalt dieser atomaren Systeme, da jedes einzelne Element des Perioden­systems so viele Ladungs­zustände bietet, wie es Elektronen in der Hülle besitzt.
 

Abb.: Künstlerische Darstellung des Ionenpaars (Bild: PTB)
Abb.: Künstlerische Darstellung des Ionenpaars (Bild: PTB)

Bisher waren an hochgeladenen Ionen allerdings Messungen, wie sie in optischen Atomuhren schon längst etabliert sind, unerreichbar. Das wesentliche Hindernis liegt schon im Prozess ihrer Herstellung: Sie müssen mit viel Energie erzeugt werden und existieren dann in Form eines Plasmas, das so heiß ist wie die Sonne selbst. Die präzisesten Experimente erfordern aber das genaue Gegenteil – tiefste Temperaturen und gut kontrollierbare Umgebungs­bedingungen, um Verschiebungen und Verbreiterungen der zu messenden Spektral­linien zu reduzieren. Darüber hinaus lassen sich hochgeladene Ionen aufgrund ihrer Atomstruktur praktisch nicht laserkühlen, und auch übliche Nachweisverfahren sind nicht anwendbar.

Lösungen für jedes einzelne dieser Probleme haben jetzt Physiker von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und dem Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik in einem weltweit einmaligen Experiment am QUEST-Institut für experimentelle Quanten­metrologie in Braunschweig vereinigt. Sie isolierten ein einzelnes hochgeladenes Argon-Ion (Ar13+) aus einer heißen Plasma-Ionenquelle und speicherten es zusammen mit einem einfach geladenen Beryllium-Ion (Be+) in einer Ionenfalle. Letzteres lässt sich sehr effizient laserkühlen und durch die gegenseitige elektrische Wechsel­wirkung auch die Temperatur des gesamten Ionenpaars reduzieren. Durch dieses „mitfühlende Kühlen“ bildet sich schließlich ein Zwei-Ionen-Kristall, der komplett „einfriert“ und den quanten­mechanischen Grundzustand der Bewegung erreicht, dem man eine Temperatur von nur wenigen millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt zuweisen kann.

Mit einem ultrastabilen Laser haben die Wissenschaftler in einem Messverfahren, wie es auch für modernste Atomuhren üblich ist, die spektrale Struktur des Argon-Ions präzise aufgelöst. Dazu setzten sie das Konzept der Quantenlogik ein, bei dem sie das gesuchte Spektroskopie-Signal vom hochgeladenen Ion über zwei Laserpulse auf das Beryllium-Ion übertragen. Der quanten­mechanische Zustand dieses Ions ist mittels Laseranregung wesentlich leichter zu bestimmen. 

„Anschaulich ‚belauscht‘ das Beryllium-Ion das weniger kommunikative hochgeladenen Ion und berichtet uns über dessen Zustand“, erläutert Piet Schmidt, Leiter der Kollaboration. „Die relative Präzision wurde hier für hochgeladenen Ionen um das hundert­millionen­fache gegenüber traditioneller Spektroskopie verbessert“, ergänzt Peter Micke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am QUEST Institut und Erstautor der Arbeit.

Die Kombination all dieser Methoden stellt ein ganz allgemeines Konzept dar, das prinzipiell auf die meisten hochgeladenen Ionen anwendbar ist. Das Beryllium-Ion ist als Logik-Ion stets einsetzbar, und der Produktions­prozess der hochgeladenen Ionen im Plasma mit der anschließenden Isolation eines einzelnen hochgeladenen Ions ist völlig unabhängig von der Wahl der atomaren Sorte und des Ladungszustandes.

José Crespo, Leiter der beteiligten Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Kernphysik, betont: „Dieses Experiment erschließt beispielhaft einen äußerst umfangreichen, zuvor unzugänglichen Bereich atomarer Systeme für den Einsatz in der Präzisionsspektroskopie und für zukünftige Uhren mit besonderen Eigenschaften.“ Für die Grundlagen­forschung wird somit durch die große Vielfalt dieser neuartigen, maßgeschneiderten Quantensensoren eine vielversprechende Auseinander­setzung mit fundamentalen Fragestellungen möglich: Ist unser Standardmodell der Teilchenphysik vollständig? Was ist dunkle Materie? Sind unsere Fundamental­konstanten wirklich konstant?

PTB / MPIK / DE
 

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