17.11.2017

Im Atomkino

Trickreiche Methoden der Ultrakurzzeitphysik machen Vorgänge auf atomarer Skala, im Femto- bis Attosekundenbereich sichtbar. Das Atomkino ist Wirklichkeit geworden.

Wie schwingen Atomkerne in einem Molekül, wie in einem Kristall? Sind Bewegungen von Atomkernen und Elektronen auf der Längenskala einer chemischen Bindung aneinander gekoppelt? Wie entstehen bei einem Phasenübergang oder einer chemischen Reaktion neue Strukturen? Solche elementare Fragen gehören zum physikalischen Verständnis von Prozessen auf atomaren Längen- und Zeitskalen, im Bereich von Pikometern und von Atto- bis Femtosekunden.

Zur experimentellen Untersuchung ultraschneller Dynamik stehen zahlreiche optische Methoden zur Verfügung. Sie beruhen auf ultrakurzen Lichtimpulsen, die in Lasern mit definiertem Zeitverlauf des elektrischen Feldes und einer Dauer im Femtosekundenbereich erzeugt werden. Mit Methoden der nichtlinearen Optik lassen sich ihre Eigenschaften in weiten Bereichen verändern. Ultrakurze Lichtimpulse stehen im gesamten Spektralbereich vom fernen Infrarot bis zum harten Röntgenbereich zur Verfügung, die Impulsdauern haben einen Minimalwert von etwa hundert Attosekunden erreicht. In den kürzesten Impulsen schwingt das Lichtfeld nur noch wenige Male hin und her.

Spektroskopische Verfahren, die auf der nichtlinearen Wechselwirkung zwischen Lichtimpulsen und Materie beruhen, machen den Ablauf ultraschneller Prozesse sichtbar und erlauben als multidimensionale Methoden die Bestimmung mikroskopischer Kopplungen. Im einfachsten Fall wird eine Sequenz optischer Schnappschüsse mit der Anrege-Abtast-Methode (auch Pump-Probe-Methode genannt) hergestellt – ein Konzept wie beim Kinofilm. Ein erster ultrakurzer Impuls startet den Prozess, ein zweiter Impuls erfasst zu einer definierten Verzögerungszeit die optischen Eigenschaften. Wiederholte Messungen zu verschiedenen Verzögerungszeiten ergeben dann den „Film“ als Zeitentwicklung der Absorption, des Brechungsindex oder anderer optischer Größen. Die Anrege-Abtast-Methode hat in Kombination mit theoretischen Arbeiten viele grundlegende Erkenntnisse über elementare Prozesse in der Natur geliefert.

Mit der wachsenden Bedeutung von Nanosystemen in Forschung und Technologie haben ultraschnelle Prozesse in oder Kopplungen zwischen Nanoobjekten an Bedeutung gewonnen.

Zeitauflösende Spektroskopie in Kombination mit Rastersonden- und Photoemissions-Elektronenmikroskopie gibt Einblick in Dynamik auf Längenskalen zwischen 0,1 und 100 nm. Der Artikel von Philipp Kloth und Martin Wenderoth auf Seite 296) stellt das Potenzial dieser Methoden sehr schön am Beispiel der zeitaufgelösten Tunnelmikroskopie vor.

Optische Ultrakurzzeitspektroskopie liefert jedoch keine direkten Informationen über sehr kleine oder zeitabhängige Strukturen, etwa die Anordnung von Atomen oder die Verteilung von Elektronendichten in chemischen Bindungen. Deshalb werden derzeit große Anstrengungen unternommen, Methoden der Strukturforschung mit einer Zeitauflösung im Atto- bis Femtosekundenbereich zu versehen. Hierzu wird mit ultrakurzen Impulsen harter Röntgenstrahlung oder Elektronenimpulsen, deren Wellenlänge interatomaren Abständen entspricht, der vom Anregungsimpuls gestartete Prozess durch eine Serie von Beugungsmustern aufgezeichnet. Aus diesen können die momentane Elektronenverteilung und atomare Positionen direkt bestimmt werden.

Das junge Gebiet der Strukturforschung auf ultrakurzen Zeitskalen befindet sich gegenwärtig in stürmischer Entwicklung. In enger internationaler Zusammenarbeit werden neue Röntgen- und Elektronenquellen im Labor und in Großanlagen entwickelt und in strukturaufklärenden Experimenten erprobt. Die bisher vorliegenden Pionierarbeiten geben Zuversicht, dass der Blick in den dynamischen Mikrokosmos das komplexe Wechselspiel zwischen Struktur, Eigenschaften und Funktion physikalischer Systeme enthüllen wird.

Thomas Elsässer, Max-Born-Institut, Berlin

Thomas Elsässer, Direktor am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie, kommentiert zwei Artikel, die in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen ist. Stuart Hayes, Sascha Epp und Dwayne Miller vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg erklären das Potenzial der Elektronenbeugung am Beispiel eines „Molekülfilms“, Philipp Kloth und Martin Wenderoth von der Universität Göttingen stellen das Verfahren der zeitaufgelösten Tunnelmikroskopie vor.

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