02.09.2010

Im Muster schwärmen

Ein neues biophysikalisches Modellsystem untersucht das Gruppenverhalten von Nanomaschinen.

Ein neues biophysikalisches Modellsystem untersucht das Gruppenverhalten von Nanomaschinen.

Für menschliche Betrachter ist die geordnete Bewegung von Tausenden von Fischen, Vögeln oder Insekten faszinierend. Die Entstehung und vielfältigen Bewegungsmuster derartiger Schwärme sind aber noch rätselhaft und werfen Fragen zum Verständnis komplexer Systeme auf. Ein Physiker-Team von der Technischen Universität München (TUM) und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat diese Phänomene und ihre Gesetzmäßigkeiten nun in einer Studie untersucht.

Abb.: Wie aus dem Nichts organisieren sich Aktinfilamente in eine Spirale. (Bild: Volker Schaller und Andreas Bausch/TU München)

Die Münchner Wissenschaftler haben ein biophysikalisches Modellsystem entwickelt, das es erlaubt, gezielt Experimente unter kontrollierten Bedingungen und in hoher Präzision durchzuführen. Volker Schaller vom TUM-Lehrstuhl für Biophysik, Erstautor der Studie, verankerte dazu auf einer Oberfläche biologische Motorproteine, die lose darüberliegende Fasern des Muskelproteins Aktin in beliebige Richtungen transportieren können. Die Fasern haben einen Durchmesser von etwa sieben Nanometern und eine Länge von etwa zehn Mikrometern. Die Bewegung der Fasern wurde mit hochauflösender Mikroskopie sichtbar gemacht.

Im Experiment begannen die Aktin-Fasern sich zu bewegen, sobald ATP – der Treibstoff für Motorproteine – zugegeben wurde. Bei niedrigen Konzentrationen der Aktin-Fasern ist die Bewegung noch völlig chaotisch. Erst ab einer Dichte von mehr als fünf Aktin-Fasern pro Quadratmikrometer, begannen sich die Fasern kollektiv in größeren Verbänden zu bewegen – in verblüffender Übereinstimmung zu Vogel- oder Fischschwärmen. „Wir können in diesem System alle relevanten Parameter einstellen und beobachten“, so Schaller. „Damit lassen sich auch die Aussagen verschiedener Theorien zur Selbstorganisation experimentell überprüfen – und zwar auf einer winzigen Längenskala mit ‚Nanomaschinen’.“

Wie aus dem Nichts bildeten sich im Versuch Strukturen, etwa Wellen, Spiralen oder geordnete Cluster. Manche dieser Strukturen erreichten eine Größe von fast einem Millimeter und blieben bis zu mehreren Minuten stabil, bevor sie sich wieder auflösten. Ausgehend von diesen Beobachtungen entwickelte Erwin Frey und sein Team von der LMU München theoretische Modelle, um die experimentellen Ergebnisse zu beschreiben. Mit Hilfe dieser Kombination aus erweiterbaren theoretischen Modellen und einer experimentellen Plattform wollen die Physiker nun schwierigere Probleme angehen und deren physikalische Gesetzmäßigkeiten aufdecken.

„Phänomene der Selbstorganisation begleiten uns auf allen Ebenen unseres Lebens,“ sagt Andreas Bausch von der TUM. „Das fängt bei Verkehrsstaus und der Bewegung von Menschenmassen sowie Schwärmen von Tieren an und reicht bis zur Organisation biologischer Prozesse. Wichtige Beispiele sind hier der Aufbau des zellulären Zytoskeletts oder der Proteintransport in der Zelle durch Motorproteine.“ Die zugrundeliegenden Prinzipien – ob nun in ökonomischen, biologischen oder physikalischen Systemen – gehören aber noch zu den großen offenen Fragen der Theoretischen Physik. „Auch für unser Naturverständnis gibt es hier noch viele fundamentale Gesetzmäßigkeiten zu entdecken“, betont Frey. „Prognosen sollten aber nicht vorschnell auf die Dynamik von Menschenmassen übertragen werden – deren Komplexität lässt sich bislang kaum in theoretischen Modellen erfassen.“

Technische Universität München/AL


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