Immer mehr Abiturienten verzichten auf ein Studium
Als Gründe gelten Zulassungsbeschränkungen, Studiengebühren, ein unzureichend ausgestattetes Bafög, fehlende Stipendien sowie eine mangelhafte Studienberatung.
Berlin (dpa) - Immer mehr Abiturienten in Deutschland verzichten auf ein Studium. Darauf hat der Präsident des Deutschen Studentenwerkes (DSW), der Bildungsforscher Rolf Dobischat, unter Berufung auf mehrere Untersuchungen aufmerksam gemacht. 2002 gaben 27 Prozent der Abiturienten und jungen Menschen mit Fachhochschulreife an, nicht studieren zu wollen. Vom Abiturientenjahrgang 2006 war dies bereits nahezu jeder Dritte (32 Prozent), sagte Dobischat am Sonntag in Berlin. Auch 2007 habe sich dieser Trend fortgesetzt.
Als Gründe verwies Dobischat auf die in den vergangenen Jahren erheblich ausgeweiteten Zulassungsbeschränkungen an den Universitäten, Abschreckungseffekte durch Studiengebühren, ein unzureichend ausgestattetes Bafög, fehlende Stipendien sowie eine mangelhafte Studienberatung. Dobischat forderte Bund und Länder laut Manuskript auf der Tagung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung eindringlich zu einer Kurskorrektur auf. Anders ließen sich «Begabungsreserven» in der Gesellschaft nicht mobilisieren. Der Mangel an akademisch ausgebildeten Fachkräften werde angesichts des Geburtenrückganges ansonsten weiter dramatisch zunehmen.
Während 70 Prozent der Abiturienten aus Akademikerfamilien bereits ein halbes Jahr vor ihrer Reifeprüfung bei Umfragen nahezu selbstverständlich eine «feste Studienabsicht» bekundeten, gelte dies nur für 55 Prozent der Schüler aus Nicht-Akademikerfamilien. Die sozialen Unterschiede zeigten sich selbst unter Spitzenabiturienten mit einem Notenschnitt zwischen eins und zwei. Kommen die Abiturienten aus Akademikerfamilien, dann gilt für 81 Prozent das Studium als absolut sicher. Bei Schülern mit Spitzennoten aus Nichtakademikerfamilien haben hingegen nur 68 Prozent eine feste Studienabsicht.
Die wochenlang vom Bundesbildungsministerium unter Verschluss gehaltene Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) belege, dass wegen der in einigen Bundesländern erhobenen Studiengebühren «eine nennenswerte Zahl» von jungen Menschen auf ein Studium verzichtet, sagte Dobischat. Auch wenn unter den angegebenen Verzichtsgründen die Gebühren «nur» auf Platz fünf rangierten, sei dies nicht zu unterschätzen. «Vier Prozent der Studienberechtigten, die wegen Studiengebühren nicht studieren, sind vier Prozent zu viel.»
Dobischat verwies auf Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, wonach im Vergleich zu 2003 heute zwar 17 Prozent mehr junge Menschen mit Abitur oder Fachhochschulreife ihre Schule verlassen. Im gleichen Zeitraum ist aber die Zahl der Studienanfänger um fünf Prozent gesunken. Die Schere zwischen der Abiturientenzahl und der tatsächlichen Studienanfängerzahl klaffe immer weiter auseinander, sagte der Duisburger Bildungsforscher.
Zwar sei es begrüßenswert, dass Bund und Länder nach dem Bildungsgipfel nun den Hochschulpakt fortsetzen und in den nächsten Jahren 275 000 zusätzliche Studienplätze schaffen wollten, sagte Dobischat. Der 2006 vereinbarte erste Pakt sei jedoch deutlich unterinanziert gewesen. Mittel für eine bessere Betreuung und Lehre, aber auch für die soziale Infrastruktur, wie etwa zusätzliche Wohnheimplätze oder den Ausbau der Mensen und der Studienberatung fehlten. Dobischat: «Ich fürchte, beim Hochschulpakt II wird es ähnlich desaströs aussehen.»