Industrie gegen Koalition
Bei der Schaffung neuer Klimaschutz-Instrumente bahnt sich ein gravierender Konflikt zwischen Rot-Grün und der Industrie an.
Berlin (dpa) - Bei der Schaffung neuer Klimaschutz-Instrumente bahnt sich ein gravierender Konflikt zwischen Rot-Grün und der Industrie an. Die Grünen befürchten, dass sich die Industrie im Rahmen der anlaufenden nationalen Gesetzgebung über die EU-weiten Handel mit CO2-Emissionsrechten auf Kosten der Privathaushalte und anderer Wirtschaftsbereiche «gesund rechnen» wolle. Überzogenen Wünschen der Industrie bei der erstmaligen Zuteilung von Emissionsrechten müsse die Bundesregierung daher entgegen treten, verlangte der Vize-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Reinhard Loske, am Donnerstag in Berlin.
In Berlin beginnt derzeit der Gesetzgebungsprozess zur Umsetzung der EU-Richtlinie für ein europaweites Handelssystem mit Kohlendioxid-Zertifikaten. Am 17. Dezember werde das Bundeskabinett voraussichtlich den Entwurf eines Treibhausgas-Emissionshandels-Gesetzes (TEHG) beschließen, das zunächst den rechtlichen Rahmen festlege. So soll der private Handel mit Emissionsrechten von einer Fachabteilung des Umweltbundesamtes überwacht werden.
Im ersten Quartal 2004 komme dann das Gesetz zur Aufstellung eines nationalen Allokationsplanes hinzu. Damit werden die zulässigen CO2-Emissionen auf die verschiedenen Gruppen und danach bei der Industrie auf mehrere Tausend Anlagen aufgeteilt. Die Gesetze sollten laut Loske wegen der EU-Fristen vor der Sommerpause verabschiedet sein.
Nach dieser Grundzuteilung können die Industrie-Zertifikate von 2005 an frei gehandelt werden. So können Anlagenbetreiber zum Beispiel, die umweltschonend investieren und so weniger Kohlendioxid verbrauchen, überschüssige CO2-Zertifikate am Markt an solche Firmen verkaufen, ihr Soll an Kohlendioxid-Ausstoß überschreiten.
Die übrigen Bereiche sollen die ihnen zugewiesenen Schadstoff- Obergrenzen nicht über den Emissionshandel, sondern mit Hilfe herkömmlicher Instrumente erreichen. «Die Ökosteuer wird weiterhin für die nicht am Emissionshandel teilnehmenden Bereiche, vor allem für Verkehr und Haushalte, ein sinnvolles Instrument sein und sollte entsprechend weiterentwickelt werden», heißt es im bisher unveröffentlichten Grünen-Beschluss aus der letzten Woche. Für Teilnehmer am Emissions-Handel sollen auch künftig weit reichende Steuerermäßigungen gelten.
«Im Parlament wollen wir die Prinzipien festlegen, nach denen die Zuteilung läuft», sagte Loske. Die enge Mitwirkung der Abgeordneten solle Transparenz statt Mauscheleien mit der Wirtschaft sichern. «Alles, was die Industrie (zur Einhaltung des nationalen Klimaschutz- Ziels) nicht bringt, müssen andere bringen», monierte Loske. Sie verlange zusätzliche CO2-Tonnen-Gutschriften in zweistelliger Millionenhöhe für konventionelle Kraftwerke bei Stilllegung von Atomkraftwerken sowie für überdurchschnittliche Wachstumsraten mit entsprechend höherem Schadstoff-Ausstoß. Entgegen ihrer eigenen Erklärungen distanziere sich die Industrie damit von ihren bisherigen Selbstverpflichtungszielen zum CO2-Abbau.
Von rund 880 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß des Jahres 1998 entfalle auf die Industrie-Emissionen nach bisher üblichen Berechnungen 508 Millionen Tonnen, sagte Loske. Diese Daten müssen entsprechend dem Klimaschutzprogramm der Bundesregierung für die kommenden Jahre fortgeschrieben und auf die verschiedenen Gruppen aufgeteilt werden.
Nach der jüngsten Übersicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW/Berlin) kam es bis 2002 zu einem Rückgang der CO2-Emissionen in Deutschland auf 858 Millionen Tonnen nach 1 Milliarde noch im Jahr 1990. Den größten absoluten Rückgang in diesem Zeitraum weist danach der Energiesektor mit rund 66 Millionen Tonnen (minus 15 Prozent) auf, dicht gefolgt von der Industrie mit 60 Millionen Tonnen (minus 36 Prozent) und dem Bereich Handel, Gewerbe, Dienstleistungen mit fast 32 Millionen (minus 35 Prozent) Tonnen. Die privaten Haushalte emittierten im Jahre 2002 gut 9 Millionen Tonnen (minus 7 Prozent) weniger als 1990. Lediglich im Verkehrssektor war der Kohlendioxid-Ausstoß mit plus 9 Prozent um 14 Millionen Tonnen höher als 12 Jahre zuvor.