03.04.2024

Intelligente Suchstrategien für zufällige Ziele

Neuer Ansatz für ein seit Jahrzehnten untersuchtes Problem in der statistischen Physik.

Ein seit Jahrzehnten untersuchtes Problem in der statistischen Physik befasst sich mit der Frage, wie sich ein „Agent“ bewegen muss, um effizient zufällig verteilte Ziele einzusammeln. Hierbei kann es sich zum Beispiel um ein Bakterium auf der Suche nach lebensnotwendigen Chemikalien handeln, um einen Raubvogel auf Beutejagd oder um einen Mikroroboter, der Giftmoleküle oder Abfallstoffe einsammelt.

Abb.: Ein „Agent“ auf der Suche nach Nahrung – mithilfe künstlicher...
Abb.: Ein „Agent“ auf der Suche nach Nahrung – mithilfe künstlicher neuronaler Netzwerke.
Quelle: TU Darmstadt

Die Frage nach der optimalen Bewegungsstrategie ist besonders herausfordernd für den typischen Fall, dass die Nahrungsverteilung zwar für den Agenten unbekannt ist, aber räumlich korreliert ist, sich also nicht sprunghaft, sondern kontinuierlich im Raum verändert. So finden etwa Bakterien nicht nur direkt an einer Nahrungsquelle eine hohe Konzentration von Nährstoffen vor, sondern auch in der Nähe der Quelle, weil sich die entsprechenden Moleküle diffusiv ausbreiten. Um solche Korrelationen auszunutzen, haben Bakterien chemotaktischen Suchstrategien entwickelt. Hierbei messen sie die Änderung der Nahrungskonzentration entlang ihres Pfades und ändern ihre Bewegungsrichtung so, dass sie sich statistisch in Richtung aufsteigender Konzentration bewegen. Das ermöglicht es ihnen, sowohl ihre Erfahrung auszunutzen, dass die Nahrungskonzentration in eine bestimmte Richtung zunimmt, als auch ihre Umgebung zu erkunden, um immer wieder zu überprüfen, ob die Nahrungskonzentration in eine andere Richtung möglicherweise stärker zunimmt.

Aktuell stellt sich im Bereich künstlicher Mikroschwimmer, die sich ähnlich wie Bakterien selbstständig durch ihre Umgebung fortbewegen können, ein ähnliches Problem: Wie können diese programmiert werden, um Giftmoleküle oder Mikroplastik effizient einzusammeln? Die statistische Physik hat für derart schwierige Suchprobleme noch keine zufriedenstellenden Antworten gefunden. Bisherige Ansätze beschränken sich auf phänomenologische Modelle, die die Bewegung von Bakterien im Wesentlichen nur beschreiben. Dagegen gibt es noch keine systematischen Ansätze, um optimale Suchstrategien systematisch auszurechnen. Deshalb ist es bisher auch weitgehend unklar, wie effizient die in phänomenologischen Modellen beschriebenen Suchstrategien und die von den Bakterien evolutionär entwickelten Taktiken und Strategien wirklich sind.

Diese Wissenslücke haben Forscher der TU Darmstadt jetzt in den Blick genommen: Sie entwickelten erstmals eine Methode, um effiziente Suchstrategien systematisch ermitteln zu können. Hierbei wird ein Agent betrachtet, der sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt und der in jedem Zeitschritt entscheiden kann sich entweder in dieselbe Richtung wie zuletzt weiterzubewegen oder seine Bewegungsrichtung (zufällig) zu ändern. Die Wahl zwischen diesen beiden Optionen trifft der Agent mithilfe von künstlichen neuronalen Netzwerken, in die unter anderem die für den Agenten sichtbare „Nahrungskonzentration“ in dessen unmittelbarer Umgebung eingespeist wird. Die globale Nahrungsverteilung bleibt dabei für den Agenten jedoch unbekannt.

Die neuronalen Netzwerke wurden in einer breiten Klasse von Umgebungen mit zufälliger Nahrungskonzentration trainiert. Anschließend wurden die resultierenden Bewegungsmuster des Agenten analysiert: Interessanterweise zeigten diese -- bis auf einige auffällige Details -- eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Bewegungsmustern echter Bakterien beziehungsweise den von phänomenologischen Modellen beschriebenen Bewegungsmustern.

Noch überraschender war allerdings das Ergebnis eines Vergleichs der Effizienz der Nahrungssuche. Hierbei zeigte sich eine deutliche Überlegenheit der mittels neuronaler Netzwerke trainierten Agenten, die es viel besser beherrschten, die Struktur ihrer Umgebung auszunutzen als von bisherigen phänomenologischen Modellen beschrieben werden konnte.

Die Forschungsergebnisse könnten sich als nützlich erweisen, um zukünftige Mikroschwimmer, Nanoroboter und intelligente Partikel für Aufgaben wie die Suche nach Krebszellen, Mikroplastik oder für die Umweltsanierung zu programmieren. Zugleich illustrieren die Resultate den großen Nutzen, den neue Werkzeuge im Bereich des maschinellen Lernens -- jenseits von Big Data und Large Language Models -- in der Physik haben können. Sie ermöglichen es, Probleme zu untersuchen, die mit herkömmlichen Rechen- und Simulationsmethoden kaum gelöst werden können.

TU Darmstadt / RK

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