29.03.2022

Ionen im Nadelöhr

Weiterentwicklung der Festkörper-NMR-Spektroskopie gibt Einblick in Ionenkanäle.

Winzige Ionenkanäle sorgen dafür, dass Kalium und Natrium in unsere Zellen gelangen. Dabei müssen die Ionen ein Nadelöhr passieren, den Selektivitäts­filter. Dessen Struktur ist mittlerweile gut beschrieben, jedoch war es bislang nicht möglich, die Ionen selbst im Kanal zu betrachten, jedenfalls nicht unter natürlichen Bedingungen. Durch eine Weiter­entwicklung der Festkörper-NMR-Spektroskopie ist Forschern vom Leibniz-Forschungs­institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) genau das jetzt gelungen. Die neuen Einblicke haben auch über die Grundlagen­forschung hinaus eine große Bedeutung.

 

Abb.: Dynamische Ionen (Bild: B. van Rossum)
Abb.: Dynamische Ionen (Bild: B. van Rossum)

Ionenkanäle sind nur wenige Nanometer groß. Sie lassen lebenswichtige Ionen wie Kalium oder Natrium in unsere Zellen hinein- und auch wieder hinausströmen. Kaliumionen werden zum Beispiel für die Weiter­leitung von Nervenimpulsen oder die Steuerung der Herz­frequenz benötigt. Schon kleinste Veränderungen an den Kanälen können zu schweren Komplikationen führen. Kein Wunder also, dass sich die Wissenschaft ausgiebig mit diesen winzigen Zellmembran­proteinen befasst. Am Berliner Leibniz-Forschungs­institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) tun dies gleich mehrere Arbeitsgruppen; Einige dieser Kanäle wurden hier sogar entdeckt.

Die Arbeitsgruppe von Adam Lange untersucht seit längerem Ionen­kanäle in Zell­membranen unter natürlichen Bedingungen mit Hilfe der Festkörper-Kernspin­resonanz- (NMR-) Spektroskopie. Diese Technologie liefert aussagekräftigere Daten als die sonst übliche Röntgen­kristallografie, die die kleinen Kanäle nur in einem wenig realistischen Umfeld darstellen kann. Durch technologische Fortschritte haben die Forscher in den letzten Jahren insbesondere viel über die Funktion und Struktur des Selektivitäts­filters gelernt. Das ist jenes zentrale Nadelöhr in den Kanälen, das Abermilliarden von Ionen täglich passieren müssen.

Bislang war es allerdings nicht möglich, die Ionen selbst unter natürlichen Bedingungen im Filter zu betrachten. Denn Kalium und Natrium lassen sich mit der NMR-Spektroskopie praktisch nicht detektieren. Mit einem Trick hat das Forscherteam nun dieses Problem gelöst: Das Ion Ammonium ist mit seinen beiden Komponenten Stickstoff und Wasserstoff sehr wohl in der NMR Spektroskopie detektierbar, und ansonsten Kalium-Ionen sehr ähnlich. Es dient in diesem Falle als hervorragender Ersatz.

„Vorher waren die Ionen für uns nicht sichtbar, wir waren sozusagen blind, weil es keine passende Technik gab“, erklärt Carl Öster, Erstautor der nun publizierten Studie. „Durch den Trick mit dem Ammonium und weiteren technischen Anpassungen können wir die Ionen nun zum ersten Mal direkt im Kanal anschauen.“

Die Forscher wollen die „Ammonium-Methode“ zum Beispiel dafür nutzen, pharmakologische Effekte zu untersuchen. Für einige Moleküle beziehungsweise Medikamente wurde nämlich gezeigt, dass sie die Konfiguration der Ionen im Selektivitäts­filter beeinflussen. Doch wie das genau geschieht, war bis dato schwer zu untersuchen.

Adam Lange und seine Arbeitsgruppe haben für die aktuelle Studie intensiv mit Forschern vom Max-Planck-Institut für Multi­disziplinäre Natur­wissenschaften in Göttingen zusammengearbeitet. Die Göttinger Kollegen haben unter anderem Molekular­dynamik­simulationen durchgeführt, mit denen sich am Computer beobachten lässt, wie die Ionen durch den Kanal wandern. Zudem haben dort Messungen an einem 1,2-GHz-NMR-Spektrometer stattgefunden, deren Ergebnisse ebenfalls mit in die aktuelle Studie eingeflossen sind. Derart hochauflösende Geräte gibt es derzeit nur an sehr wenigen Standorten weltweit – einer davon ist Göttingen.

Doch auch auf dem Campus Berlin Buch wird bald ein 1,2-GHz-NMR-Spektrometer stehen. Das FMP errichtet dafür gerade ein eigenes Gebäude, das bis zum Sommer soll es fertig sein. „Das wird unseren Standort für die nächsten zehn Jahre enorm stärken“, meint Adam Lange. Der Biophysiker hat noch einen weiteren Aspekt vor Augen: „Wir werden uns mit dem Spitzengerät noch komplexere Ionenkanäle anschauen können, und diese Grundlagenforschung wird früher oder später auch für pharmakologische Ansätze von großem Nutzen sein.“

FMP / DE

 

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