30.01.2020

Jens Frahm erhält Werner-von-Siemens-Ring

Würdigung für bahnbrechende Entwicklungen in MRT-Diagnostik.

Die Zahl ist gigantisch: Jährlich werden weltweit im Rahmen der medizinischen Diagnostik etwa 100 Millionen Untersuchungen mit der Magnet­resonanz­tomografie (MRT) durchgeführt – und jeder einzelne Tomograf weltweit nutzt die Technik, die der Jens Frahm aus Göttingen mit seiner Arbeitsgruppe entwickelt hat. Der Professor, der die Forschungs­gruppe Biomedizinische NMR am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie leitet, machte die Technik erst klinikreif. Denn in den Anfangstagen der MRT in den 1980er-Jahren dauerte eine einzige MRT-Schichtaufnahme noch Minuten. Frahms FLASH-Technologie machte Sekunden daraus – eine 100-fache Beschleunigung. Erst sie ermöglichte den Siegeszug der MRT. Frahms neueste Entwicklung, FLASH 2, macht sie noch einmal schneller und ermöglicht Videos vom schlagenden Herzen oder anderen bewegten Körperorganen – in Echtzeit mit bis zu 100 Bildern pro Sekunde. Für seine Leistungen erhält Jens Frahm den Werner-von-Siemens-Ring, den wichtigsten deutschen Technikpreis.
 

Abb.: Jens Frahm (Bild: F. Vinken / MPG)
Abb.: Jens Frahm (Bild: F. Vinken / MPG)

Hätte Alfred Nobel einige Jahrzehnte später gelebt, dann gäbe es heute sicherlich einen Nobelpreis für bahnbrechende technische Entwicklungen. Das Vermächtnis eines anderen Visionärs füllte diese Lücke: Werner von Siemens war zeitlebens davon überzeugt, dass Wissenschaft und Technik untrennbar miteinander verbunden sind und Großes ermöglichen. Seit 1916 zeichnet die Stiftung Werner-von-Siemens-Ring deshalb alle zwei bis drei Jahre Menschen aus, die die Technik­geschichte entscheidend mitgeprägt haben. Der Preis in Form eines jeweils individuell gefertigten Ringes geht in diesem Jahr an Jens Frahm aus Göttingen. „Wir würdigen damit die enorme Leistung, die Frahm für die medizinische Diagnostik erbracht hat“, erläutert Joachim Ullrich, Präsident der Physikalisch-Technischen Bundes­anstalt (PTB) und Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring. 

Frahm spezialisierte sich früh auf biologische und medizinische Anwendungen. Bereits 1982 leitete er eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie zum Thema Magnet­resonanz­tomografie (MRT), auch Kern­spin­tomografie genannt. Die MRT war 1973 von Paul Lauterbur erfunden worden, hatte aber einen entscheidenden Nachteil: Sie war zu langsam. Daher setzte sich die viel­versprechende Idee, ohne schädliche Röntgenstrahlen Bilder aus dem Inneren des Körpers zu bekommen, zunächst nicht durch. Die Technik beruht darauf, dass ein starkes Magnetfeld die Wasserstoff­atomkerne des menschlichen Körpers beeinflusst. Sie verhalten sich in einem starken Magnetfeld der MRT-Röhre wie kleine Magnete, die nach Anregung mit einem kurzen Radio­wellen­impuls selber ein UkW-Signal ausstrahlen. Das kann man messen. So lassen sich Bilder von weichen Körper­geweben errechnen. Aber für jede Schicht musste man anfangs minutenlang messen. Frahm kam auf die entscheidende Idee, für jede der sehr vielen Einzelmessungen eines MRT-Bildes immer nur einen Teil des verfügbaren MRT-Signals zu nutzen. Mit diesem physikalischen Trick, dem FLASH-Verfahren, konnte er die Pausen zur Signal­erholung vollständig eliminieren und die Messzeit radikal um das Hundertfache beschleunigen. Das war der Durchbruch für die MRT. Heute wird die Technik genutzt, um verschiedenste Fragen zu beantworten: Gibt es bei einer Person Auffälligkeiten im Hirngewebe? Wurden bei einem Unfallopfer innere Organe verletzt? Liegt ein Band­scheiben­vorfall vor? Hat das Herz Schaden genommen?

Im Jahr 2010 machten Frahm und sein Team schließlich den Weg frei für Videoaufnahmen mit der MRT, indem sie die Methode noch einmal deutlich schneller machten. FLASH2, die Echtzeit-MRT, beruht auf einem neuen mathematischen Verfahren für die Bildrekonstruktion, das eine Berechnung aus nur noch sehr wenigen Einzel­messungen ermöglicht, die entsprechend weniger Messzeit benötigen. Damit sind Filmaufnahmen des atmenden Brustkorbs, des schlagenden Herzens auf der Suche nach Herz­rhythmus­störungen, von Gelenken bei der Arbeit oder komplexer Abläufe wie Sprechen oder Schlucken möglich – mit 30, 50 oder gar 100 Bildern pro Sekunde. Die neue Technik könnte in Zukunft auch genutzt werden, um minimalinvasive Eingriffe zu begleiten, die bisher unter Röntgen­kontrolle durchgeführt werden. Die Echtzeit-MRT wird derzeit an der Universitätsmedizin Göttingen und mehreren anderen Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routinemäßigen Einsatz am Patienten getestet.

Jens Frahm studierte Physik an der Universität Göttingen und forschte für seine Doktorarbeit in physikalischer Chemie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Institut und leitet dort seit 1982 die selbstständige Forschungs­gruppe Biomedizinische NMR. Er habilitierte 1994 an der Universität Göttingen und wurde im Jahr 1997 zum außer­planmäßigen Professor an die dortige Fakultät für Chemie berufen. Jens Frahm ist als Erfinder von vier europäischen Patenten gelistet. Für seine Forschungsarbeiten wurde Jens Frahm mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem European MRI Award der Deutschen Röntgen­gesellschaft (1989), dem Gold Medal Award der International Society for Magnetic Resonance in Medicine (1991), dem Karl Heinz Beckurts-Preis (1993), dem Forschungspreis der Sobek-Stiftung (2005), dem Stifter­verbandspreis (2013), der Jacob Henle-Medaille (2016) und dem Europäischen Erfinderpreis (2018). 2016 wurde Jens Frahm in die Hall of Fame der deutschen Wissenschaft gewählt.

PTB / DE
 

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