Strahlungen im Rampenlicht
Der Fachverband für Strahlenschutz und das Siemens Healthineers MedMuseum würdigen durchdringende Strahlungen.
Alexander Pawlak / FS / FAU
Unsere Welt ist voller Strahlung – eine Tatsache, die in der Welt der Physik selbstverständlich erscheint. Doch das Wissen um die vielen Formen der Strahlung, die im Alltag bedenkenlos genutzt wird oder auf vage Weise Angst einflößt, ist in hohem Maße unterschiedlich. Das Direktorium des deutsch-schweizerischen Fachverbands für Strahlenschutz (FS) hatte daher beschlossen, seit 2023 jährlich eine spezielle Strahlungsform als „Strahlung des Jahres“ zu benennen. Ziel ist es, ihre Rolle in unserer modernen Gesellschaft, ihre Risiken und ihre Bedeutung für den Strahlenschutz ins Rampenlicht zu rücken.
In diesem Jahr gilt der Gammastrahlung die besondere Aufmerksamkeit. Diese besonders durchdringende elektromagnetische Strahlung, die zum Beispiel nach dem radioaktiven Zerfall eines Atomkerns über den Alpha- oder Betazerfall entsteht, hat im Jahr 1900, also vor 125 Jahren, der französische Physiker und Chemiker Paul Ulrich Villard (1860 – 1934) entdeckt.
Bei der Untersuchung der Eigenschaften von Radium stellte er fest, dass sich ein Teil der vom Radium ausgehenden Strahlung magnetisch nicht ablenken lässt. Da dieser Anteil auch Aluminium- und dünne Bleiplatten durchdringen konnte, stellte er ihn als neue Strahlung vor – neben der bereits von Henri Becquerel, Marie und Pierre Curie und Ernest Rutherford beschriebenen Alpha- und Betastrahlung. Obwohl Villard die Ergebnisse seiner Experimente richtig interpretierte und damit die neuen Strahlen entdeckt hatte, wurde dies von der wissenschaftlichen Gemeinschaft zunächst weitgehend ignoriert. Erst 1903 erhielt sie durch Rutherford die Bezeichnung "Gammastrahlung".
Gammastrahlung dient beispielsweise zur Prüfung von Schweißnähten, zur Füllstandsmessung oder zur Sterilisation von Gegenständen und Produkten meist für die Medizin oder die Pharmazie. In der Medizin kommt Gammastrahlung in der Diagnostik und teils für die Tumortherapie zum Einsatz. Der Nachweis von Radionukliden geschieht häufig über deren emittierte Gammastrahlung. Beim Zerfall von Radionukliden im Erdboden entsteht auch Gammastrahlung, die zusammen mit der kosmischen Strahlung eine wesentliche Komponente der Strahleneinwirkung auf den Menschen darstellt.
In der Astronomie lassen sich mit Gammateleskopen auf der Erde und vor allem im Weltraum besonders energiereiche und extreme Ereignisse beobachten, etwa Explosionen und Kollisionen von Sternen. Die erste Beobachtung von Gammstrahlenereignissen im Weltraum gelang 1961 mit dem Satelliten Explorer 11.
Bis zum 31. August eröffnet im Siemens Healthineers MedMuseum in Erlangen die Ausstellung „Living with Radiation“ eine historische Perspektive auf die Geschichte des Strahlenschutzes während des 20. Jahrhunderts. The Wände der Ausstellung sind oval – gestaltet nach den Hittorf-Röhren, die die erste Röntgenröhre inspiriert haben. Jede der drei Röhren enthält visuelle Hinweise, die auf eindrucksvolle Erzählungen in der Geschichte des Strahlenschutzes verweisen.
Die gezeigten Bilder stellen eine umfassende Geschichte des Strahlenschutzes dar. Dank Museen und Archiven aus der ganzen Welt sind unter anderem seltene Bilder von frühen Röntgenräumen zu sehen. Die Ausstellung wird von Maria Rentetzi kuratiert, die den Lehrstuhl für Science, Technology and Gender Studies an der Universität Erlangen inne hat und die ERC-Forschungsgruppe zur Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in der Geschichte des Strahlenschutze von 1957 bis 2023 leitet.
Die Ausstellung besteht aus drei Teilen. Im ersten Bereich „Körper“ geht es um die schädlichen Auswirkungen von Strahlung. Noch bevor Wissenschafter:innen diese erkannten, erfuhr die menschliche Hand als erstes die zerstörerischen Auswirkungen von Röntgen- und Radiumstrahlen. Frühe Radiolog:innen kalibrierten ihre Röntgenapparate, indem sie für jeweils 30 Sekunden langsam ihre Hände unter den radioaktiven Strahl bewegten. Laborassistent:innen füllten die Radiumapplikatoren mit ihren nackten Händen. Das gesteigerte Wissen um die Effekte der Strahlung führte noch nicht unweigerlich zum Schutz des menschlichen Körpers. Von Radioisotopen bis zu medizinischen Technologien, und von der Atombombe bis zu den nuklearen Reaktoren war der menschliche Körper ständig Strahlung ausgesetzt.
Im Ausstellungsbereich „Schutz“ geht es um die strategische Bedeutung für verschiedene, miteinander verbundene Akteur:innen, etwa in der Herstellung von Strahlenausrüstung, in Physik und Radiobiologie, bei Strahlenonkologie und Dosimetrie in der Nuklearmedizin oder im Uran- und Radium-Bergbau sowie der Nuklearindustrie. Den menschlichen Körper vor Strahlung zu schützen stellte sich als herausfordernd dar und erforderte die Herstellung von speziellen Kleidungsstücken und Werkzeugen. Es zeigte sich außerdem, dass Wissenschaftler:innen die medizinische und industrielle Elite herausfordern mussten, indem sie Studien herausbrachten, welche die enge Verknüpfung von Strahlung und Gesundheitsrisiken belegten. Vor allem aber brauchte es politische Initiative, um die Gesundheitsrisiken von Strahlung – in hoher und niedriger Dosis – anzuerkennen.
Der Bereich „Regulierung“ befasst sich mit dem Bemühen eine geeignete Einheit für Strahlung zu definieren, Messgeräte zu entwickeln, biologische Strahleneffekte zu verstehen und ein akzeptables Maß an Strahlenexposition zu finden. Von den ersten Benutzerhinweisen der Deutschen Röntgengesellschaft 1913 für Röntgenapparate bis zur Disziplinengründung der „Gesundheitsphysik“ an dem University of Chicago Met Lab während des Zweiten Weltkriegs gestalteten wissenschaftliche Institutionen neue Perspektiven auf akzeptable Risiken, tolerierbare Strahlendosen und Strahlensicherheit. Seit der Gründung der International Atomic Energy Agency 1957 haben Forschende und Vertreter:innen aus Verwaltung und Diplomatie daran gearbeitet die Verwendung von Strahlung in der Medizin, der Forschung, Industrie und dem Militär zu regulieren. Dennoch blieb der Strahlenschutz eine Sisyphusarbeit.
Im Rahmen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ist der Strahlenschutz im 1958 gegründeten Fachverband Strahlen- und Medizinphysik (ST) vertreten. Auf dessen Webseite finden sich umfangreiche Hinweise zu entsprechenden Forschungseinrichtungen.
Weitere Infos
- Fachverband für Strahlenschutz e.V. (FS)
- Strahlung des Jahres (FS)
- Living with Radiation – Ausstellung im Siemens Healthineers MedMuseum in Erlangen
- ERC-Forschungsgruppe The Role of the International Atomic Energy Agency in the History of Radiation Protection (1957-2023)
- Physik Journal Dossier: Reaktorunfälle