Kalte, klare Luft
Einjähriges Projekt zur Wolkenforschung an der deutschen Polarstation Neumayer III abgeschlossen.
Extrem saubere Luft am Boden, Warmlufteinbrüche und Sulfataerosol in großer Höhe – ein Leipziger Forschungsprojekt hat neue Erkenntnisse über die Wolken in der Antarktis gewonnen. Von Januar bis Dezember 2023 wurde erstmals die vertikale Verteilung von Aerosolpartikeln und Wolken in der Atmosphäre über der deutschen Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) vom Boden aus untersucht. Die höhenaufgelösten Messungen waren die ersten dieser Art im Königin-Maud-Land, dem Bereich der Antarktis, der an den Atlantik grenzt und eine Fläche größer als Grönland umfasst.
Zum Einsatz kam dabei die Messplattform Oceanet-Atmosphere des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (Tropos), die bereits bei der internationalen MOSAiC-Expedition 2019/20 auf dem AWI-Forschungseisbrecher Polarstern für ein ganzes Jahr in der Arktis unterwegs war, nun zwölf Monate lang in der Antarktis betrieben und dort vom Tropos-Mitarbeiter Martin Radenz betreut wurde. Die Rückkehr der Geräte nach Leipzig markiert den erfolgreichen Abschluss des Projekts Coala (Kontinuierliche Beobachtungen von Aerosol-Wolken-Interaktionen in der Antarktis). Die Messungen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und in enger Kooperation mit dem AWI durchgeführt.
Der antarktische Kontinent und der Südliche Ozean sind wichtige Bestandteile des globalen Klimasystems. Nachdem das Klima der Antarktis im letzten Jahrhundert als relativ stabil galt, werden inzwischen auch hier deutliche Veränderungen beobachtet. Klimaprojektionen deuten darauf hin, dass sich das Innere der Antarktis um mehr als drei Grad erwärmen, die Meereisausdehnung um etwa dreißig Prozent abnehmen und die Niederschläge im 21. Jahrhundert zunehmen werden. Allerdings sind solche Projektionen mit großen Unsicherheiten behaftet und den globalen atmosphärischen Zirkulationsmodellen gelingt es noch nicht, die Wolkenbedeckung und den Strahlungsantrieb über dem Südlichen Ozean korrekt wiederzugeben. Diese falsche Darstellung der Wolken führt zu verzerrten Schätzungen der Wärmestrahlung und der Meeresoberflächentemperatur, die eine Voraussetzung für die Abschätzung der Energieflüsse zwischen Ozean und Atmosphäre sind.
Mehr Wissen über die Wolkenbildung in der Antarktis ist daher dringend nötig, weil diese in der sauberen Luft der Südhemisphäre anders abläuft als in der kontinental geprägten Nordhemisphäre. Eine zweite große Unsicherheitsquelle ist der Transport von Feuchtigkeit und Partikeln aus den mittleren Breiten und Subtropen zum Pol. So könnte zum Beispiel im Bereich des Atlantiks der relativ offene Raum zwischen dem Weddellmeer und dem Südpol eine Art Autobahn für warme und feuchte Luftmassen sein.
Um mehr über die Wolken in der Antarktis zu erfahren, wurden die Bodenmessungen an der deutschen Forschungsstation Neumayer III des AWI rund ein Jahr lang durch Messungen mit Fernerkundungsgeräten wie Lidar und Radar ergänzt. Der Oceanet-Container des Tropos war zuvor 2019/20 auf Polarstern während der MOSAiC-Expedition ein Jahr lang durch die Arktis gedriftet. „Dadurch konnten wir erstmals zeigen, dass die Atmosphäre am Nordpol stärker verschmutzt ist als bisher angenommen wurde. Aber wie ist sieht es über der Antarktis aus? Zum Glück ergab sich die Chance, unseren Oceanet-Container dort ein Jahr lang zu betreiben“, erklärt Ronny Engelmann vom Tropos. Anfang 2023 wurde Oceanet 300 Meter südlich der deutschen Antarktisstation Neumayer III installiert. Oceanet-Atmosphere ist ein autonomer, polar-erprobter, speziell ausgerüsteter 20-Fuss-Messcontainer, vollgepackt mit modernstem Equipment zur Atmosphärenbeobachtung. Aktuell ist es die einzige polar-taugliche Einzelcontainer-Plattform, die mit Mehrwellen-Lidar, Radar und Mikrowellenradiometer sowie mit Doppler-Lidar und -Radar turbulente Luftbewegungen in Wolken beobachten kann.
Den Strom bekam der Messcontainer per Kabel aus der Forschungsstation, in der auch der Leipziger Forscher lebte, der sich ein Jahr lang darum kümmerte, dass alle Geräte ohne Unterbrechung messen: Martin Radenz vom Tropos verstärkte dazu das Kernteam der Station und gehörte zu den zehn Personen, die auf sich allein gestellt in dunkler Polarnacht auf der Neumayer-Station III überwinterten. „Ein Jahr in der Antarktis sein zu dürfen mit der Gemeinschaft unseres kleinen Teams, der faszinierenden Natur, Schneestürmen und Isolation, war ein einmaliges Erlebnis“, berichtet Martin Radenz. Der grüne Laserstrahl des Mehrwellen-Lidars, der die Atmosphäre über Neumayer III abtastete, war eine Neuheit in diesem Teil der Antarktis. Ein Lidar sendet kurze Laser-Pulse vom Boden aus in die Atmosphäre und empfängt das zurückgestreute Licht mit einem Spezialempfänger.
Aus der Laufzeit, Intensität und Polarisation der zurückgestreuten Signale lassen sich Informationen über Höhe, Menge und Art der Aerosole in der Atmosphäre ableiten. Zusammenhängende Messungen mit Wolkenradar und Aerosol-Lidar hat es bisher nur auf der anderen Seite im 3500 km entfernten Teil der Antarktis gegeben, der an den Pazifik grenzt. Die US-Station McMurdo dort steht auf Fels. Von den Messungen an der Neumayer-Station III über Schelfeis erhoffen sich die Forscher außerdem neues Wissen zur Wolkenbildung über den riesigen Eisflächen der Antarktis. „Es ist besonders erfreulich, dass das AWI im Anschluss an COALA ähnliche Fernerkundungsgeräte in Kooperation mit Tropos dauerhaft auf Neumayer III einsetzt. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Erfassung der kurzlebigen Klimakomponenten Aerosole und Wolken in der Antarktis geleistet“, sagt Andreas Macke, Direktor des Tropos und Leiter der Abteilung „Fernerkundung Atmosphärischer Prozesse“.
Im Januar wurde der Oceanet-Container abgebaut, an die Schelfeiskante transportiert und auf ein Schiff verladen. Im März sind die Geräte in Leipzig angekommen, das Projekt Coala ist abgeschlossen und die Forscher ziehen eine erste Bilanz: „Alle Geräte haben durchgehalten und wertvolle Daten geliefert. Darüber sind wir besonders froh, weil es in der Polarnacht Monate gedauert hätte, bis ein Ersatzteil angekommen wäre. Unsere Erfahrungen von der MOSAiC-Expedition drei Jahre früher in der Arktis waren dabei eine große Hilfe. Trotzdem war es eine echte Herausforderung, die Geräte sturmfest zu machen und fast täglich von Schnee zu säubern“, berichtet Martin Radenz. Für Radenz und sein Team haben sich die Mühen aber gelohnt.
Die Messungen brachten drei neue Erkenntnisse über die Antarktis im Klimawandel: Die Lidarmessungen gaben erstmals einen Einblick, wieviel Partikel in welchen Höhen über diesem Teil der Antarktis schweben. Der untere Bereich der Atmosphäre (Troposphäre) mit unberührten Bedingungen war meist vergleichsweise sauber. Dagegen beobachtete das Team zwischen rund 9 km und 17 km Höhe (Stratosphäre) unerwartet viele Partikel. „Die vom Lidar abgeleiteten optischen Eigenschaften des Aerosols weisen eindeutig auf Sulfataerosol hin, die hauptsächlich durch Vulkanausbrüche verursacht werden. Die seit Januar 2023 in der Stratosphäre beobachtete Trübung steht daher höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai im Januar 2022“, sagt Martin Radenz. „Dass sich Vulkanstaub über der Südpolarregion sehr lange halten kann, hat uns genauso überrascht wie der Waldbrandrauch über der Nordpolarregion, den wir 2020 bei der MOSAiC-Expedition erstmals beobachten konnten“, berichtet Ronny Engelmann. Die Lidarmessungen vom Boden sind besonders wichtig, da der Vulkanstaub über der Antarktis offenbar bisher aus dem Weltraum nicht beobachtet wurde. Zumindest war in den Standardprodukten des NASA-Satelliten-Lidars Caliop kein Aerosol nachweisbar. Aerosol in der Stratosphäre hat Einfluss auf das Auftreten von polaren Stratosphärenwolken (PSCs), an denen komplexe chemische Prozesse ablaufen und die im Verdacht stehen, über den Polargebieten zum Ozonloch beizutragen.
Während also in den oberen Schichten der Atmosphäre mehr Aerosol beobachtet wurde als erwartet, erwiesen sich die unteren Schichten in etwa so sauber wie angenommen. Die kontinuierlichen Messungen ermöglichten es dem Team, den Wolken beim Wachsen „zuzusehen“. So konnte zum Beispiel eine stabile, gleichzeitig aus Eiskristallen und Wassertropfen bestehende, Mischphasenwolke über zehn Stunden beobachtet werden, die in eine Schicht aus marinem Aerosol eingebettet war. „Unsere Messungen bestätigen, dass praktisch alle Partikel als Wolkenkeime dienen. Das Wolkenwachstum ist also durch die Menge an Partikeln begrenzt. Würde es mehr Partikel geben, weil zum Beispiel mehr verschmutzte Luft in die Antarktis strömt, dann gäbe es dort auch mehr Tropfen und Eiskristalle in den Wolken, was deren Lebendauer und Wirkung auf Wetter und Klima verändern würde“, erläutert Patric Seifert vom Tropos.
Warmluft von außen könnte den Klimawandel in der Antarktis verstärken. Deshalb war es wichtig, zwei extreme Warmlufteinbrüche detailliert untersuchen zu können: Einer mit intensivem Schneefall im April, der zehn Prozent der Schneemenge eines ganzen Jahres brachte, und ein zweiter mit rekordverdächtigen Höchsttemperaturen sowie starker Vereisung des Bodens aufgrund von unterkühltem Nieselregen im Juli. Bei diesem Warmlufteinbruch stiegt die Temperatur am 6. Juli 2023 bis auf -2,3 Grad Celsius. „Das ist die höchste Temperatur, die im Juli an der deutschen Antarktisstation Neumayer seit Beginn der kontinuierlichen Beobachtungen im Jahr 1982 registriert wurde. Das bedeutet: Noch nie war es mitten in der Polarnacht, dem Höhepunkt des antarktischen Winters, dort so warm“, erklärt Martin Radenz. Diese außergewöhnlich hohen Temperaturen führten zu unterkühltem Nieselregen, gemeinhin auch als Blitzeis bezeichnet. An der Oberfläche bildete sich auf dem Schnee vom Vortag eine frische Schicht aus klarem Eis von etwa zwei Millimetern. „Was bei uns in Mitteleuropa im Winter häufig vorkommt, ist für die Antarktis in der dunklen Polarnacht sehr ungewöhnlich. Normalerweise liegen die Temperaturen an der Neumayer-Station III im Juli unter -30 Grad Celsius. Über Schelfeis sind unsere Beobachtungen die ersten dieser Art“, betont Radenz.
AWI / DE