Katastrophale Kaskaden
Modellsysteme zeigen, wie kleine Fehler miteinander gekoppelte Netzwerke kollabieren lassen.
Modellsysteme zeigen, wie kleine Fehler miteinander gekoppelte Netzwerke kollabieren lassen.
Vom Stromnetz über Internet und Bahnstrecken bis zum Straßenverkehr begründen miteinander verknüpfte Netzwerke die komplexe Infrastruktur in Industriestaaten. Genau diese Abhängigkeiten voneinander bergen ein großes Risiko. Denn nach einer aktuellen Analyse von israelischen und amerikanischen Mathematikern reichen schon kleine Fehler in einem System, um mehrere Netzwerke über große Räume kollabieren zu lassen. So reichen bisher genutzte Modelle, die für Risikoanalysen jedes Netzwerk isoliert betrachteten, für eine Simulation der realen Infrastruktur nicht mehr aus.
Abb.: Modell eines Kollaps: Der Blackout am 28.September 2003 in Italien ist ein Paradebeispiel für die hohe Anfälligkeit von miteinander verknüpften Netzwerken. (Bild: Nature)
"Eine dramatisches Beispiel für eine Kaskade von Fehlern aus der Realität ist der Blackout in Italien am 28.September 2003", berichten Shlomo Havlin von der Bar-Ilan Universität in Ramat-Gan und seine Kollegen von der Boston University und der Yeshiva University in New York. Damals führte der Ausfall eines Kraftwerks zu Unterbrechungen in der Internet-Kommunikation, die sich wiederum zurück auf das Stromnetz auswirkten und sukzessive zum ausgedehnten Blackout führten. Diese enge Wechselwirkung von – vorerst – zwei miteinander gekoppelten Netzwerken analysierten die Wissenschaftler genauer mit einem mathematischen Modell.
Um die Fragilität eines Netzwerks zu bestimmen, fokussieren sich die Forscher generell auf die Netzknoten. Die zentrale Frage: Wieviele Netzknoten können ausfallen, ohne dass das gesamte Netzwerk in voneinander getrennte Fragmente zerfällt? In isolierten Netzwerken liegt dieser Grenzwert weit höher als in miteinander gekoppelten Systemen, in denen sich schon einzelne Fehler in einem Netzwerk zu weit reichenden Zusammenbrüchen vieler, gekoppelter Netzwerke führen kann. Für dieses Ergebnis verknüpften Havlin und Kollegen zwei Netzstrukturen gleicher Komplexität an zufällig ausgewählten Verbindungspunkten. Die Wegnahme eines Knotens in Netzwerk A führte daher nicht nur zur Schwächung dieses Netzes, sondern setzte auch einen Knoten in Netzwerk B außer Funktion. Dieser Fehler führte wiederum zur Ausdünnung von Netzwerk B und wirkte sich über weitere Kontaktstellen zusätzlich auf Netzwerk A aus.
Diese numerischen Simulationen von sich in Kaskaden ausbreitenden Netzfehlern entsprechen einer Perkolation, einem mathematische Modell für die Bildung von Fragmenten oder Clustern. Wegen der gegenseitigen Abhängigkeit der Netzwerke können teilweise selbst diese isolierten, noch fehlerfreien Fragmente nicht mehr funktionieren. Dadurch ist die Gefahr für einen Kollaps deutlich größer als einfachere Netzwerkanalysen vermuten lassen.
Doch mit nur zwei verknüpften Netzwerken ist auch dieses Modell noch zu simpel, um die Komplexität der realen Welt abbilden zu können. Daher will Havlin seine Simulationen Stück für Stück ausweiten, um genauere Risikoanalysen zu erhalten und idealerweise auch Schwachpunkte von verknüpften Netzwerken vor dem Zusammenbruch zu identifizieren. Das Interesse an solchen mathematischen Modellen könnte weit reichen – von Datentechnikern, über Städteplaner bis hin zu Versicherungen.
Jan Oliver Löfken
Weitere Infos
Weiterführende Literatur:
- Barrat, A., Barthelemy, M. & Vespignani, A.: Dynamical Processes on Complex Networks (Cambridge Univ. Press, 2008)
- D. J. Watts, S. H. Strogatz: Collective dynamics of ‘small-world’ networks. Nature 393, 440–442 (1998)
http://dx.doi.org/10.1038/30918
- I. Simonsen, L. Buzna, K. Peters, S. Bornholdt, D. Helbing: Transient dynamics increasing network vulnerability to cascading failures. Phys. Rev. Lett. 100, 218701 (2008) http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.100.218701
PH