31.08.2020 • Materialwissenschaften

Keimendes Eisen

Entstehung eines Kristalls mit speziellem Elektronenmikroskop gefilmt.

Metalle und ihr Verhalten unter wechselnden Einflüssen sind zwar recht gut erforscht, allerdings war bislang nicht belegt, wie die Keim­bildung von Kristallen abläuft – wie also einzelne Atome beginnen, sich zu einer drei­dimen­sionalen Gitter­struktur zu formieren. Forschern der Uni Ulm ist es in Kooperation mit Kollegen aus England und Japan jetzt gelungen, diese Entstehung eines Kristalls zu beobachten.

Abb.: Die schematische Darstellung zeigt, wie sich Eisen­atome zu einer...
Abb.: Die schematische Darstellung zeigt, wie sich Eisen­atome zu einer geordneten Kristall­gitter­struktur zusammen­lagern. (Bild: K. Cao, U. Ulm)

„In der Standardliteratur gab es bislang zwei Modelle, wie das Keimen eines Kristalls ablaufen könnte“, erläutert Ute Kaiser, Leiterin der material­wissen­schaft­lichen Elektronen­mikro­skopie an der Uni Ulm. „Eines ging davon aus, dass sich Atome einer nach dem anderen aneinander­setzen und so das Kristall­gitter bilden. Das zweite Modell nahm an, es könnte eine ungeordnete Zwischen­phase geben, aus der heraus sich der Kristall bildet.“ Das Forschungs­team konnte mit seiner Arbeit jetzt zeigen, welches Kristall­bildungs­modell zutrifft.

Dass die Mikroskopie-Spezialisten beim Keimen eines Kristalls zusehen konnten, war zunächst ein Zufall. Für die ursprünglich geplante Unter­suchung hatten die Mitstreiter aus Nottingham Eisen­atome in Kohlen­stoff-Nano­röhren einge­bracht. Beim Blick durch das bildfehler­korrigierte Elektronen­mikroskop TITAN wurden die Wissen­schaftler Zeuge, wie sich die einzelnen Eisenatome zusammen­ballten — bei einer Auflösung von einem Bild pro Sekunde praktisch in Echtzeit.

Ausgelöst wurde die Keimbildung durch Energie­über­tragung des Elektronen­strahls des Mikroskops auf die Eisenatome. Und dabei offenbarte sich schließlich, dass zunächst einige wenige Eisenatome eine amorphe Phase bildeten, eine flüssig­keits­ähnliche Häufung von Atomen ohne innere Struktur. „Wir haben heraus­gefunden, dass die Atome erst oberhalb einer kritischen Anzahl zwischen 10 und 20 beginnen, sich zu einer regel­mäßigen Gitter­struktur zu ordnen. Damit konnten wir den Beweis erbringen, dass die Keim­bildung von Kristallen auf einem zwei­stufigen Nukleations­mechanismus basiert“, beschreibt Kecheng Cao von der Uni Ulm die Entdeckung einer Übergangs­phase bei der Bildung metal­lischer Kristall­strukturen. „In weiteren Unter­suchungen mit Eisen-, Gold- und Rhenium-Atomen haben wir diesen Prozess gezielt beobachtet und dabei immer ein ähnliches Verhalten gesehen“, sagt sein Kollege Johannes Biskupek.

„Einen Schlusspunkt für unsere Forschung bedeutet diese bahn­brechende Beobachtung aber nicht“, betont Kaiser. „Denn bei anderen Materialien könnte es abweichende Abläufe geben. Wir wollen daher auch komplexere Materialien wie beispiels­weise Metall­legierungen auf ihr Kristal­lisations­verhalten unter­suchen.“ Zum Einsatz kommt dabei das neue Super-Mikroskop SALVE. Das an der Uni Ulm entwickelte und inzwischen fertig­gestellte, zweifach bildfehler­korrigierte Nieder­spannungs-Trans­missions­elektronen­mikroskop gehört weltweit zu den leistungs­fähigsten Geräten seiner Art. Es hat eine um den Faktor drei höhere Auflösung als derzeitige einfach-korrigierte TEM und erlaubt noch viel tiefere Einblicke in die erstaun­liche Welt der Atome.

U. Ulm

Weitere Infos

 

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Meist gelesen

Themen