Kein Sauerstoff im flüssigen Erdkern
Stoßwellen-Experimente deuten auf chemisch reduzierende Bedingungen bei der Akkretion der Proto-Erde.
Seismologische Untersuchungen zeigen in Übereinstimmung mit kosmochemischen Überlegungen, dass der flüssige äußere Erdkern hauptsächlich aus Eisen besteht. Beigemischt sind etwa fünf (Gewichts-)Prozent Nickel, sowie bis zu zehn Prozent leichtere Elemente. Worum es sich bei diesen leichteren Elementen handelt, ist bislang unbekannt – Hauptkandidaten sind Sauerstoff, Schwefel, Silizium, Kohlenstoff und Wasserstoff. Theoretische Modelle der Erdentstehung präferieren bislang oxidierende Bedingungen bei der Akkretion und entsprechend einen hohen Sauerstoff-Anteil im Erdkern. Die Ergebnisse von Labor-Experimenten chinesischer Forscher widersprechen nun diesen Vorstellungen.
Abb.: Innerer Aufbau der Erde (Bild: wikipedia.de, gemeinfrei)
Da im Erdkern mit einem Druck von 136 bis 364 Gigapascal und einer Temperatur von 4000 bis 6500 Kelvin extreme physikalische Zustände herrschen, ist eine experimentelle Untersuchung von Eisen-Legierungen unter Kern-Bedingungen schwierig. Die beste Möglichkeit dafür bieten derzeit Stoßwellen-Experimente, bei denen ein Hochgeschwindigkeits-Projektil auf Materialproben trifft. Die dabei entstehenden Stoßwellen produzieren für Mikrosekunden nicht nur hohe Drucke, sondern gleichzeitig auch hohe Temperaturen.
Traditionell messen die Forscher bei derartigen Experimenten die Dichte der Legierung in Abhängigkeit des erzielten Druckes. Solche Daten reichen allerdings nicht aus, um zwischen verschiedenen Zusammensetzungen der Materie im Erdkern zu unterscheiden. Haijun Huang von der Technischen Universität Wuhan und seine Kollegen sind deshalb nun einen Schritt weiter gegangen und haben auch die Schallgeschwindigkeit in dem durch die Stoßwelle komprimierten Material gemessen. Ein Vergleich der gemessenen Werte für Dichte und Schallgeschwindigkeit mit seismologischen Daten erlaubt es dem Forscherteam erstmals, Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung des flüssigen Erdkerns zu ziehen.
Huang und sein Team haben zwei unterschiedlich zusammengsetzte Eisenlegierungen untersucht: die eine enthielt acht Prozent Sauerstoff und zwei Prozent Schwefel, die andere 2,2 Prozent Sauerstoff und 5,3 Prozent Schwefel. Wie die Messungen zeigten, besaß die sauerstoffreichere Legierung signifikant höhere Schallgeschwindigkeiten als bei den seismologischen Untersuchungen der Erde festgestellt. Eine dominante Rolle von Sauerstoff als Beimischung zu dem flüssigen Eisen schließen Huang und seine Kollegen daher aus, der wahrscheinlichste Wert sei ein Gewichtsanteil von 0,5 Prozent.
Im Gegensatz dazu stimmten die Daten für Dichte und Schallgeschwindigkeit bei dem schwefelreichen Gemisch mit den seismologischen Messungen überein. Das bedeutet jedoch nicht, wie die Wissenschaftler betonen, dass Schwefel unbedingt das dominierende leichte Element in der Eisenlegierung des Erdkerns sei – dazu müssten weitere Untersuchungen der anderen infrage kommenden Elemente vorgenommen werden.
Die Ergebnisse von Huang und seinem Team sprechen also dafür, dass die Bedingungen bei der Entstehung der Erde nicht, wie bislang zumeist angenommen, oxidierend, sondern eher reduzierend waren. Generell ist eine genaue Kenntnis der Zusammensetzung des Erdkerns nicht nur für das Verständnis der Erdentstehung, sondern auch für die Theorie des Erdmagnetfelds und Modellierungen des Wärmeflusses im Erdinneren von großer Bedeutung.
Rainer Kayser
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