14.01.2022 • Kernphysik

Kernfusion durch künstliche Blitze

Fusionsprozesse lassen sich durch gepulste elektrische Felder anstoßen.

Gepulste elektrische Felder, die zum Beispiel durch Blitz­einschläge verursacht werden, machen sich als Spannungs­spitzen bemerkbar und stellen eine zerstörerische Gefahr für elektronische Bauteile dar. Ein Team vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf hat jetzt heraus­gefunden, dass solche Spannungs­spitzen durchaus nützliche Eigen­schaften haben können. So lassen sich zum Beispiel Kernfusions­prozesse durch extrem starke und schnelle gepulste elektrische Felder deutlich verstärken.

Abb.: Künst­le­rische Dar­stel­lung der Poten­zial­barriere der...
Abb.: Künst­le­rische Dar­stel­lung der Poten­zial­barriere der Fusions­reak­tion von Bor-11 mit einem Proton, bei der drei Alpha­teil­chen als Reak­tions­pro­dukte ent­stehen. Das Tun­neln des Protons kann dabei durch ge­pulste elek­trische Felder ver­stärkt werden. (Bild: Sahne­weiß, HZDR)

Kernfusionen werden durch den quanten­mechanischen Tunnel­effekt ermöglicht. „Eine Folge des Tunnel­effekts ist es, dass gleich­artig geladene Teilchen ihre gegen­seitige Abstoßung überwinden können, auch wenn ihre Energie dafür eigentlich gar nicht ausreicht – zumindest nicht nach den Gesetzen der klassischen Mechanik“, sagt Ralf Schützhold vom HZDR. „So etwas können wir zum Beispiel bei der Verschmelzung zweier leichter Atomkerne beobachten: Je stärker sich ein Kern dem anderen nähert, desto größer wird die Abstoßung, die Potenzial­barriere.“ Die Gesetze der Quanten­mechanik erlauben jedoch, dass der Kern durch diese Barriere hindurch­tunnelt und so fusionieren kann.

Obwohl der Tunneleffekt in vielen Bereichen der Physik eine wichtige Rolle spielt und erstmals bereits vor fast einhundert Jahren beschrieben wurde, ist unser Verständnis des Vorgangs auch heute noch lückenhaft. „Verschiedene Facetten des Einflusses elektrischer Felder auf Tunnel­prozesse waren schon bekannt. So können elektrische Felder die Teilchen zusätzlich beschleunigen und dadurch zu mehr Energie verhelfen. Außerdem können sie die Potenzial­barriere deformieren und auf diesem Weg die Tunnel­wahr­schein­lic­hkeit erhöhen“, so Christian Kohlfürst vom HZDR.

Die Berechnungen des Teams zeigen jetzt erstmals eine Besonderheit von gepulsten, sich zeitlich schnell verändernden elektrischen Feldern: Sie können dafür sorgen, dass die Teilchen, bildlich gesprochen, aus der Potenzial­barriere heraus­geschubst werden und so leichter tunneln. Die Forscher zeigen dieses Effekt an verschiedenen Beispielen, unter anderem auch an einer für eine mögliche Energie­erzeugung interes­santen Fusions­reaktion: der Verschmelzung eines Protons mit dem Isotop Bor-11.

Sie ist vor allem aufgrund des leicht verfügbaren Brennstoffs interessant. Dabei entstehen drei jeweils zweifach positiv geladene Alpha­teilchen. Bemerkens­wert an dieser Reaktion: Die Energie wird in Form geladener Teilchen frei­ge­setzt und nicht als Neutronen­strahlung wie bei den derzeit bekanntesten Fusions­reaktionen. Das hat Vorteile: Zum einen würden die Probleme, die mit dem Neutronen­fluss verbunden sind, deutlich reduziert, wie etwa die Gefahren im Umgang mit ioni­sierender Strahlung. Zum anderen kann die Energie geladener Teilchen direkt und damit viel einfacher in Elektrizität umgewandelt werden.

Die für die Nutzung der Reaktion erforder­lichen Bedingungen sind jedoch noch extremer als die der im aktuellen Fusions­reaktor-Experiment ITER favori­sierten Deuterium-Tritium-Fusion. Die Zündung der Proton-Bor-Reaktion ist im Vergleich dazu schwieriger, die Wissenschaft sucht noch nach gangbaren Wegen. Das Team um Schützhold zeigt nun eine Möglichkeit auf: „Unseren Berechnungen zufolge kann ein hinreichend schnelles und starkes gepulstes elektrisches Feld nicht nur die Deuterium-Tritium-Fusion, sondern auch die Proton-Bor-Reaktion deutlich verstärken.“

Die Erzeugung solcher Felder ist jedoch schwierig. „Weltweit sind Anlagen im Bau oder in Planung, die immer höhere Energien auf immer kürzere Zeitspannen und immer kleinere Raumbereiche konzentrieren sollen“, sagt Schützhold. Leider sind die heute verfügbaren Anlagen noch nicht ganz in der Lage, derartig schnelle und starke „künstliche Blitze“ zu erzeugen.

Es gibt aber einen möglichen Ausweg: So kann das elektrische Feld eines schnell und vor allem dicht am Proton vorbei­fliegenden Alpha­teilchens wie ein solches gepulstes elektrisches Feld wirken und so stark zustoßen, dass das Proton die Potenzial­barriere von Bor-11 durch­tunneln und die Fusions­reaktion auslösen kann. Alpha­teilchen mit der dafür notwendigen Pulsenergie werden bei der Proton-Bor-Reaktion tatsächlich erzeugt, können aber auch von außen einge­schossen werden.

HZDR / RK

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