20.11.2017

Kernphysik grenzt Modelle der dunklen Materie ein

Unsicherheiten der Wechselwirkung zwischen Higgs-Boson und Atom­kernen redu­ziert.

Astrophysikalische Beobachtungen zeigen, dass die sichtbare Materie nur einen kleinen Teil der gesamten Materie des Uni­ver­sums aus­macht. Die ver­blei­benden achtzig Prozent werden als „dunkle Materie“ bezeichnet, da sie sich einer direkten Beob­achtung bis heute ent­ziehen. Trotz­dem gibt es eine Viel­zahl von Model­len für die dunkle Materie, die man in Labor­experi­menten über­prüfen kann, da dort die direkte Wechsel­wirkung zwischen dunkler und gewöhn­licher Materie Spuren hinter­lassen sollte.

Abb.: Der XENON1T-Detektor im Gran-Sasso-Unter­grund­labor in Italien. (Bild: xenon1t.org)

Ein solches Experiment ist XENON1T in Italien, bei dem in einem Unter­grund­labor, gut abge­schirmt vor kosmischer Hinter­grund­strahlung, nach den Teil­chen der dunklen Materie gesucht wird. Dabei versucht man in Detek­toren, die mit dem flüs­sigen Edel­gas Xenon gefüllt sind, Zusammen­stöße von Teil­chen der dunklen Materie mit Xenon-Atom­kernen auf­zu­spüren. Bisher konnte kein solches Teil­chen nach­ge­wiesen werden, jedoch grenzen die Ergeb­nisse der Experi­mente die mög­liche Stärke dieser Wechsel­wirkungen ein.

Für bestimmte Modelle der dunklen Materie, in denen ange­nommen wird, dass die Wechsel­wirkung über den Aus­tausch eines schnell zer­fal­lenden Elementar­teil­chens – des Higgs-Bosons – statt­findet, gibt es eine unab­hängige, indirekte Methode, um die Wechsel­wirkungs­stärke ein­zu­grenzen. Nach diesen Modellen erwartet man, dass das Higgs-Boson in dunkle Materie zer­fällt. Diese Higgs-Zerfälle sollten in Beschleu­niger­experi­menten wie dem Large Hadron Collider beob­acht­bar sein. Die dabei erzeug­ten Teil­chen der dunklen Materie würden anders als gewöhn­liche Materie keine Signatur im Detektor hinter­lassen.

Untersucht man das Ausbleiben solcher Zerfälle, wie es am LHC beob­achtet wurde, lässt sich die Wechsel­wirkungs­stärke von dunkler Materie komple­mentär zu den Ein­schrän­kungen aus den Unter­grund­experi­menten ein­grenzen. In der Ver­gangen­heit war der Ver­gleich der Ergeb­nisse beider Methoden mit einer großen Unsicher­heit behaftet, da die Wechsel­wirkung des Higgs-Bosons mit den Atom­kernen in Unter­grund­experi­menten nur unzu­rei­chend bekannt war. In einer Zusammen­arbeit von Forscher der TU Darm­stadt und der Unis Seattle und Tokio ist es jetzt gelungen, diese Unsicher­heiten deut­lich zu redu­zieren.

Dazu kombinierten die Forscher neueste Ergebnisse aus kern­physi­ka­lischen Experi­menten mit Ergeb­nissen aus modernen nume­rischen Simu­la­tionen der Gitter-QCD, um die Kopp­lung des Higgs-Bosons an ein Nukleon genauer zu bestimmen. Des Weiteren wurden zum ersten Mal Effekte ein­bezogen, die sich aus der Wechsel­wirkung von Nukleonen inner­halb eines gebun­denen Atom­kerns ergeben. Diese erlauben es dem Higgs-Boson, mit zwei Nukle­onen zu inter­agieren. Das führt zu kleinen, aber nicht ver­nach­lässig­baren Korrek­turen. Zusammen­ge­nommen konnte so für ver­schie­dene Modelle die mög­liche Stärke der Wechsel­wirkung zwischen Teil­chen der dunklen Materie und Nukle­onen deut­lich präziser ein­ge­grenzt werden.

Die Einbeziehung der Wechselwirkung von Nukleonen im Atom­kern kann auch in Zukunft helfen, andere Modelle der dunklen Materie besser ein­zu­grenzen. Dieses Ziel ver­folgen die betei­ligten Wissen­schaftler in enger Zusammen­arbeit mit experi­men­tellen Gruppen.

TU Darmstadt / RK

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