KI-Ingenieur löst komplexe Aufgaben
OpenFOAMGPT wirkt im Bereich der Strömungsmechanik und schreibt sogar wissenschaftliche Artikel.
Xu Chu und einem Team am Exzellenzcluster SimTech sowie der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie der Universität Stuttgart ist es gelungen, den weltweit ersten Ingenieur mit künstlicher Intelligenz zu schaffen. Dieser ist in der Lage, selbständig komplexe Aufgabenstellungen im Bereich der Strömungsmechanik zu lösen und zu simulieren. OpenFOAMGPT, so sein Name, basiert auf einem Multi-Agenten-System und einem frei verfügbaren Softwarepaket, mit dem Strömungsprobleme simuliert werden können. Und damit nicht genug: Die künstliche Intelligenz schreibt dazu auch wissenschaftliche Artikel, ohne dass ein Mensch eingreifen muss.

Der KI-Ingenieur besteht aus vier KI-Agenten, die zusammenarbeiten und sich ergänzen, um komplizierte Aufgaben zu lösen. Ein KI-Agent wiederum ist ein Software-System, das logisch „denken“ kann, das lernt oder Entscheidungen trifft und viele Informationen aus Texten, Videos oder Bildern gleichzeitig verarbeiten kann. In OpenFOAMGPT ist zudem ein Large Language Model integriert, ein großes Sprachmodell, das Texte generiert – außerdem die frei verfügbare Software OpenFOAM, die Simulationen aus der numerischen Strömungsmechanik durchführt. „Unser KI-Ingenieur arbeitet sehr gründlich und zuverlässig, eben wie ein schwäbischer Ingenieur“, sagt Xu Chu. Er ist mit seinem Team der Urheber von OpenFOAMGPT.
Vier Agenten teilen sich die Aufgaben des KI-Ingenieurs: Der Vorarbeiter (Preprocessing Agent) analysiert die Anfragen der Benutzer*innen und leitet sie, je nach Komplexität, weiter. Der Promptersteller (Prompt Generate Agent) formuliert Anweisungen, die er in einen Prompt-Pool gibt. Der Agent OpenFOAMGPT, der Namensgeber des KI-Ingenieurs, interpretiert die Prompts, erzeugt automatisch die Konfiguration der Simulation und startet sie. Und der Nacharbeit-Agent (Postprocessing Agent) analysiert die Simulationsergebnisse, erstellt Vergleichsdiagramme und Schaubilder.
Um die Zuverlässigkeit des KI-Ingenieurs zu überprüfen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Experimente durchgeführt. Sie wählten fünf Fallstudien aus, die ein breites Spektrum an Aufgaben der numerischen Strömungsmechanik abdecken. Das reichte von einem einfachen Beispiel, das die Strömung einer viskosen Flüssigkeit durch einen geraden Kanal unter einem Druckgefälle beschreibt, über eine mehrphasige Strömung in porösen Medien, wie sie bei Drainagevorgängen zum Beispiel in der Erdöltechnik vorkommt, bis hin zur Simulation von turbulenten Strömungen in der Aerodynamik eines Motorrads bei verschiedenen Geschwindigkeiten.
Da die Reproduzierbarkeit ein Gradmesser für die Zuverlässigkeit ist, wurden die Simulationen teilweise bis zu hundertmal durchgeführt und jedes Mal war das Ergebnis gleich. „Das hat uns selbst überrascht und auch ein bisschen erschreckt“, erzählt Chu. „Wenn ich beispielsweise ein Bild von mir in ChatGPT hochlade und zehnmal frage, ob ich gut darauf aussehe, erhalte ich zehn verschiedene Antworten. Das geht bei Ingenieursfragestellungen natürlich nicht“, sagt er. „Mein Team und ich konnten so manche Nacht nicht mehr gut schlafen, weil wir gesehen haben, was es bedeutet, wenn das System so zuverlässig arbeitet.“ Das könne eine Revolution werden, wir werden Zugang zu unbegrenzten intellektuellen Ressourcen haben, meint Chu weiter.
Xu Chu ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat zusätzliche Agenten integriert, die wissenschaftliche Bücher und Publikationen „lesen“, neue Forschungsideen entwickeln, die Ergebnisse von OpenFOAMGPT analysieren und anschließend wissenschaftliche Manuskripte verfassen, völlig autonom. Er nennt das System „Turbulence.ai“, es ist der weltweit erste KI-Wissenschaftler im Bereich der Strömungsmechanik. Er stellt Hypothesen auf und formuliert sie, plant Simulationen und prüft sie auf Neuigkeitsgehalt und Machbarkeit, korrigiert Fehler, bereitet die Ergebnisse visuell auf und schreibt schließlich einen vollständigen wissenschaftlichen Artikel. Das erste Manuskript über zweiphasige Verdrängungsprozesse in porösen Medien ist bereits fertig. „Da die Strömungsmechanik ein Forschungsfeld mit zahlreichen unbeantworteten Fragen ist, könnte der KI-Wissenschaftler die Wissenschaft damit unendlich bereichern“, ergänzt Chu.
U. Stuttgart / JOL