Kieselhüpfen als Wissenschaft
Flache Kiesel hüpfen besonders gut übers Wasser, wenn sie unter einem magischen Winkel von 20 Grad auftreffen.
Kieselhüpfen als Wissenschaft
Flache Kiesel hüpfen besonders gut übers Wasser, wenn sie unter einem magischen Winkel von 20 Grad auftreffen. Das haben französische Forscher bei Experimenten mit Aluminiumscheiben herausgefunden.
Ein ruhiges Gewässer, an dessen Ufer flache Kiesel liegen, übt auf viele Menschen eine unwiderstehliche Wirkung aus. Sie müssen einen Stein nach dem anderen übers Wasser hüpfen lassen. Nach zahlreichen Sprüngen, die immer kürzer werden, versinkt schließlich jeder Stein ¿ oder er schafft es bis zum anderen Ufer. Je mehr Hopser er insgesamt macht, desto besser. Der gültige Weltrekord liegt übrigens bei 38 Sprüngen. Er wurde 1992 von einem Amerikaner auf einem Fluss in Texas aufgestellt. Kann die Physik dabei helfen, diesen Rekord zu brechen? Dieser Frage sind Christophe Clanet von der Université Marseille und seine Kollegen nachgegangen.
Wie die Erfahrung zeigt, erhält man die besten Ergebnisse, wenn man einen möglichst flachen und runden Kiesel nimmt. Den Stein wirft man dann mit viel Drall und möglichst hoher Geschwindigkeit unter flachem Winkel auf die Wasseroberfläche. Der Drall stabilisiert die Neigung des Steins relativ zur Wasseroberfläche. Bei jeder Kollision mit dem Wasser verliert der Stein ein wenig von seiner Bewegungs- und seiner Rotationsenergie. Wenn er dann schließlich zu langsam geworden ist oder sich zu stark geneigt hat, versinkt er.
Abb.: Bei 38 Hopsern liegt der Weltrekord im ¿Stone-skipping¿, den Jerdone Coleman-McGhee 1992 auf dem Blanco River aufgestellt hat. Der Schnappschuss stammt aus dem Video, das den Rekord dokumentiert. (Quelle: NASSA)
Hat der Stein die Idealform, so entscheiden vier Parameter über Erfolg oder Misserfolg eines Wurfs: die beiden Winkel α und β, mit denen die Unterseite des Stein bzw. seine Flugbahn gegen die Wasseroberfläche geneigt ist, die Rotationsgeschwindigkeit Ω des Steins sowie seine Fluggeschwindigkeit V. Christophe Clanet und seine Kollegen haben eine Maschine gebaut, die 3 mm dicke und 5 cm große Aluminiumscheiben mit den gewünschten Werten für die Parameter α, β, Ω und V auf eine Wasseroberfläche schleudert. Mit einer Hochgeschwindigkeitskamera haben sie dann für schnell rotierende Scheiben (Ω=65 Umdrehungen/s) den jeweils ersten Hopser aufgezeichnet.
Es zeigte sich, dass die Scheibe eine Geschwindigkeit von einigen Metern pro Sekunde haben musste, um wenigstens einen Hopser zu machen. Diese Mindestgeschwindigkeit hing sehr stark vom Winkel α ab, mit dem die Scheibe gegen die Wasseroberfläche geneigt war. Der günstigste Winkel lag bei 20°. Hier reichte schon eine Geschwindigkeit von V=2,6 m/s, um die Scheibe hüpfen zu lassen.
Bei ihren weiteren Experimenten hielten die Forscher die Fluggeschwindigkeit konstant bei V=3,5 m/s und variierten die beiden Winkel α und β, um die günstigste Kombination zu bestimmen. Sie fanden, dass man die Scheibe nicht zu steil auf die Wasseroberfläche werfen darf: Für Aufprallwinkel β, die größer waren als 45°, brachte die Scheibe keinen Hopser zustande und versank sofort. War der Winkel β ein wenig kleiner als 45°, so konnte die Scheibe hüpfen, allerdings nur wenn ihr Neigungswinkel α wiederum bei 20° lag.
Die mit der Hochgeschwindigkeitskamera gemachten Bildern zeigten deutlich, dass die hüpfende Scheibe für einen magischen Neigungswinkel α=20° den kürzesten Kontakt mit der Wasseroberfläche hatte, unabhängig von den Werten der übrigen Parameter. Dabei lagen die gemessenen Kollisionszeiten zwischen 20 und 50 Millisekunden. Wie so oft bei hydrodynamischen Problemen kann man auch für eine übers Wasser hüpfende Scheibe mit einer einfachen Dimensionsanalyse ein Skalengesetz herleiten. Den französischen Forschern zufolge gilt für die minimale Kollisionszeit τ einer Scheibe mit Radius R und Dicke d: τ = const.(Rd/V) 1/2. Den magischen Neigungswinkel kann man indes auf diese Weise nicht bestimmen.
Je kleiner die Kollisionszeit ist, je kürzer also die hüpfende Scheibe ins Wasser taucht, umso weniger Bewegungsenergie verliert sie und umso mehr Hopser kann sie auf der Wasseroberfläche machen. Dasselbe sollte auch für flache Kiesel gelten. Für den magischen Neigungswinkel α=20° hat man also die besten Chancen, einen Kiesel mehr als 38 Mal hüpfen zu lassen und damit den bestehenden Weltrekord zu brechen.
Rainer Scharf
Weitere Infos:
- Originalveröffentlichung:
Christophe Clanet et al., Secrets of successful stone-skipping, Nature 427, 29 (2004). - Homepage von Lydéric Bocquet:
http://dpm.univ-lyon1.fr/~lbocquet/ - Homepage von Christophe Clanet:
http://www.irphe.univ-mrs.fr/~clanet/ - Webseiten zu organisierten ¿Kieselwerfern¿:
Mackinac Island Stone Skipping & Gerplunking Club (MISSGC):
http://www.stoneskipping.com
North American Stone Skipping Association (NASSA):
http://www.yeeha.net/nassa/a1.html - Weitere Forschungsartikel auf pro-physik.de finden Sie in der Rubrik Forschung.
Weitere Literatur:
- Lydéric Bocquet, The physics of stone skipping, Am. J. Phys. 71, 150 (2003):
http://ojps.aip.org/getabs/servlet/GetabsServlet?prog=normal&id=AJPIAS000071000002000150000001
http://dpm.univ-lyon1.fr/~lbocquet/AJPricochet.pdf (freier Zugang!)
http://arxiv.org/abs/physics/0210015